Am Ende schnitt sie sich die Haare ab! Die jüngsten Ereignisse im Iran geben dem neuen, dritten Stück einer Trilogie der iranisch-österreichischen Choreografin, Tänzerin und Forscherin Ulduz Ahmadzadeh und dem vom TQW veranstalteten, einwöchigen feministischen Kunst-Festival „Tashweesh“, in dessen Rahmen die Erstaufführung von „TARAB“ stattfand, eine bedrückende Aktualität. Uralter bis zeitgenössischer Tanz und iranische Trommel-Musik verbinden sich zu einem berauschenden Ganzen. Mit eingewobenem kulturkritischen Statement.
Das Tanzen ist im Iran verboten. Daher verlagert sich die Pflege des so reichen und Jahrtausende alten Erbes voriranisch-vorderasiatischen Bewegungsmaterials in private, von der Öffentlichkeit abgeschlossene Zirkel. Und ins Ausland. Die Forscherin Ulduz Ahmadzadeh hob einige alte Tänze aus, benutzte deren Bewegungsmaterial und Duktus und erschuf daraus eine bis ins Heute reichende, weil mit zeitgenössischem Material verwobene, Tanzperformace.
Sieben, zwei Männer unter ihnen, stehen im Halbkreis auf dem vom Licht Leopardenfell-gemusterten Boden. Ihre synchrone Atmung, leiser metallischer Sound dazu, steigert sich in gleichgeschaltete Kopf-, dann auch Rumpf-Bewegung. Die Intensität nimmt stetig zu. Stimmen: „Ha!“ Der Halbkreis löst sich auf, der Sound knistert, das Energie-Niveau steigt weiter. Eine Frau steigt auf das die Tribüne teilende Podest, holt eine fransenbehangene Ornament-Traverse, dreht diese auf der Bühne, schnell und schneller, der Klang lauter und drohend, der Boden nun weiß, der Sound kracht. Sie fangen das Publikum, saugen es in diese Trance. Ein kurzes Blendlicht von hinten. Plötzlich Stille und absolute Dunkelheit. Mit einem packenden schamanistischen Ritual beginnt der Abend.
Die lange Dämmerung danach lässt langsam auch den Musiker hinten auf der Bühne erkennen. Der iranische, in Berlin lebende Perkussionist Mohammad Reza Mortazavi zeigt sich als Meister auf der persischen Kelchtrommel Tombak und der im Orient verbreiteten kreisrunden Rahmentrommel Daf. Mit den Händen und Fingern, die Trommeln auf dem Oberschenkel, erzeugt er live auf der Bühne Klang-Landschaften, die flächig oder betont rhythmisch Eins werden mit dem Tanz. Seine zuweilen komplizierten Rhythmen, mit einem 5er beginnt seine den Tanz begleitende Phase, seine Fähigkeit, den Instrumenten metallische, langgezogene Töne zu entlocken, die Modulation von Klangfarben, Tonhöhen, Lautstärken, Nachklang und Hall-Effekten und seine weit über die traditionelle Spielweise hinausgehende, äußerst virtuose (Finger-) Technik brachten ihm Weltruhm ein. In dieser Arbeit verschmilzt er seine Musik, hochsensibel die PerformerInnen erspürend, mit dem Tanz auf der Bühne zu einem mystisch-spirituellen Ganzen.
So wie die TänzerInnen seine Musik in sich aufnehmen, mit in der Trance geschärften Sinnen, und durch die Vereinigung von Klang und Körper in ganz besondere Regionen ihrer Sinnlichkeit gelangen. Das etwa meint das arabische Wort Tarab, trb. Die sieben TänzerInnen der ATASH عطش contemporary dance company Desi Bonato, Naline Ferraz, Flora Virag, Luca Major, Ofer Dayani, Axel Hampusson und Jassi Murad tanzen das orientalische Material, die Schultern zucken, die Unterarme öffnen ihre Parallelität periodisch, und die zeitgenössischen Sequenzen, mit wechselnden Parallelitäten und Dynamiken, solistisch, in Duetten oder Gruppen, auf geschlossen großartigem Niveau. Sie begeistern mit der Genauigkeit ihrer synchronen Parts wie mit ihrem präzisen Timing in dieser anspruchsvollen Choreografie.
Die Bewegungen lösen sich zusehends vom orientalischen Duktus. Immer deutlichere Zeichen zeitgenössischer Einflüsse zeigen sich im Tanz der Kompanie. Ganz nebenher überrascht, wie viele alt-orientalische Elemente, verändert, abgeschwächt, verwaschen nur noch, im zeitgenössischen Tanz überlebt haben. Der andere Aspekt, koloniale und islamisierte Entstellungen der Urformen, scheinen durch, wenn eine Frau kurz den Derwisch zitiert. Oder als ein Mann sehr weiblich tanzt, in Anklängen wie eine Bauch- oder Showtänzerin. Hier stellt die Choreografie den ein männlich-sexuelles Vergnügen bedienenden, die Frauen herabmindernden, kulturell vergewaltigten Tanz aus. Das komplexe, aufwändige Lichtdesign von Jan Wielander befördert den Fluss der Stimmungen und Emotionen auf kongeniale Weise.
Sehr selten ist im Tanzquartier Wien solch eine Begeisterung und Dankbarkeit zu spüren wie an diesem Abend. Vielleicht, weil das dürstende Publikum endlich einmal das, was der Name des Hauses verspricht, auch präsentiert bekam: Tanz. Sicher aber auch geschuldet der kurzen Ansprache und solidarischen Geste der Choreografin, die sich nach der Vorstellung auf der Bühne die Haare abschnitt. Lange, warme und herzliche Standing Ovations. Verdienter Maßen.
Noch lange prasseln feine Körner in der Finsternis, fluoreszierende, sich schneidende Linien auf dem Boden erzählen von sich kreuzenden Schicksalen, auf die TänzerInnen nieder. Die Botschaft scheint klar. Holt die Frauen dieser Welt ins Licht! Lasst sie nicht im Regen stehen!
Ulduz Ahmadzadeh / ATASH عطش contemporary dance company mit „TARAB“ am 13. und 14. Oktober 2022 im Tanzquartier Wien.