Performative Kunst für Kinder und Jugendliche hat in Österreich zumeist keinen allzu großen Stellenwert. Welch Vielfalt und hohe Qualität diese aber tatsächlich haben kann sowie in zahlreichen Ländern auch vorzuweisen hat, das zeigte einmal mehr das internationale Theaterfestival für junges Publikum, spleen* graz, das zum 9.Mal - erstmals im Sommer und erstmals neun Tage lang soeben stattfand.
Gäste aus sechs europäischen (Nachbar-)Ländern sowie aus Österreich – diesmal lag der Schwerpunkt auf Produktionen aus der Steiermark – zeigten an 13 unterschiedlichen Orten ihr Spiel; mehr als 30 an der Zahl; dazu ein Angebot „Rund um Spleen*“ mit einem Diary Slam und einer Fashion Show nebst Konzerten, Workshops und anderem mehr.
Spleen*s Performance Highlights
Wie aus einer relativ trockenen Chronik eines eher unscheinbaren, alten Gebäudes der Vorstadt eine bezaubernde, vielschichtig lebendige Welt kreiert und derart jeder Zuschauer zum Mitbewohner wird, das zeigt die Gruppe Bum Bum Pieces (Österreich) in „Songs about Places“, einer Reihe von ‚Abschiedsfeiern‘ zu Ehren kaum beachteter, dem Abriss nahen Häusern. Mit zum Großteil einfachsten, aber umso fantasievoller eingesetzten Mitteln lassen in der Regie von Simon Windisch Martin Brachvogel, Nora Winkler und Robert Lepenik (Komposition) darstellerisch und musikalisch die Texte und die Gefühle theateraffiner Zuseher tanzen.
Einen Wirbelwind der Fake News und/oder New Fakes lassen Bronks (Belgien) in „The Happy Few“ über die Bühne fegen: Gebraut aus einer Vielzahl an Kostümen, einer Umkleidetechnik der wettbewerbsfähigen Art und einer Darstellungs-, Bewegungs- und Tanztechnik der Sonderklasse setzen sie sich auf diese Weise temporeich-amüsant, hochaktuell-kritisch-frech und immer wieder überraschend mit dem Thema der eigenen, der ‚unbekannten‘ tatsächlichen Identität auseinander.
Eine gar nicht so kleine Anzahl liebevoll ersonnener Ideen reihen sich in „Zwischenstation“ der Tanzcompany Ella (Österreich) aneinander; in diesem Tanztheater auf der Suche nach der Zeit; also nach etwas Allgegenwärtigem und doch oftmals zu Beherrschendem, wie hier gezeigt werden soll. So richtig und wichtig diese Denkansätze auch sind, sie erreichen nur zum Teil das Publikum: An Bühnenpräsenz, Darstellungs- und Bewegungspotential ist noch Feinarbeit zu leisten.
Über all dies und noch einigem mehr verfügt hingegen Randi de Vlieghe, die als gleichermaßen gewitzte wie doch schon ein wenig demente alte Dame „Rita“ noch das Beste aus ihrem Alltag in Obhut ihres kongenialen Pflegers (Tomas Pevenage) herauszuholen versucht. Und so ziehen sie in dieser im Grunde recht ereignislosen Geschichte des Tagesablaufs ihr Publikum auf ebenso berührend-humorvolle wie tiefernste Weise in den Bann. Die realitätsnah überspitzte und doch feinfühlige Gestaltung der Gruppe Bronks & Tuning People aus Belgien wird allen zwischen 8 und 80 im Gedächtnis bleiben.
Das anschließend auf dem Vorplatz des Theaters in der Wiese gezeigte, 30minütige „Athmen“, eine Produktion der Festivalschiene Spleen Trieb, stellt nonverbal und deutlich abstrakter eine gewisse Ergänzung zum Thema ‚Alter‘ dar. Ist dieses doch wie Atmen ein unausweichliches Lebens-Phänomen, über das aus verschiedenen Perspektiven nachzudenken immer lohnt. Sehr akzeptabel also, dass sich die Performerinnen mit dieser Thematik eine (ein wenig zu) hohe Latte gelegt haben.
Eine schwungvoll-fröhliche, authentische und entsprechend mitreißende Kooperation ist Tanz Graz & Spleen*Graz in und mit „Flow“ gelungen. Unter der erfahrenen und professionellen Leitung des Choreografen Lin Verleger haben hierbei 8 Tänzerinnen zueinander gefunden und in einem zweiwöchigen Tanz Workshop eine sehr überzeugende, 25minütige Performance, angelegt zwischen zeitgenössischem und urban Dance, erarbeitet; und so nicht nur das Straßenpflaster, sondern auch das Publikum (mehr oder weniger sichtbar) zum Schwingen gebracht. Ja, so kann niederschwellig die Faszination von Tanz vermittelt werden.
Packend ebenso: „Das Uhu-Experiment“ von Mandarina&Co, Diana Rojas-Feile (Schweiz). Freilich nicht im Sinne von Festhalten, sondern von In-Bewegung-Setzen, der Gehirnganglien nämlich, assistiert von Emotionen. Outdoor regen hier drei Performer zum kollektiven Nachdenken über Wahrheit und Lüge an – und das lustvoll! Und das für Jung und Alt, neben und miteinander! Genial, denn den einfachen, an alle gestellten Fragen, entkommt kaum einer – ob die jeweilige Antwort nun wahr oder gelogen ist: Es macht etwas aus einem.
Apropos genial; und lustvolle (schmerzende) Selbsterkenntnis: Der Ansatz ist ein anderer, ein sehr sinnlicher zwischen Visuellem, Tanz und Wort; das Ziel ein vergleichbares: Das Hinschauen und Hinhören, das Spüren und Kommunizieren. Das der internationalen Koproduktion (Schweiz, Belgien Deutschland): „Dämon“ unter der Regie von Hannah Biedermann und in der Choreografie und Performance von Nora vonder Mühll und Ives Thuwis. Die beiden Ausnahme-Akteure nähern sich in unzähligen Facetten dem in ihrem Inneren Verborgenen, Festgehaltenen, Verleugneten; also dem, was jede und jeder mit sich herumträgt, schleppt. Dem, was man nicht zulässt, nicht offenlegt. Und es ist ihr Um-die-Ecke-Agieren, das Wirkung zeigt: handfest bei ihnen auf der Bühne und – weniger sichtbar aber wohl nicht selten nachhaltig beim Publikum.
spleen*graz, 24. Juni bis 2. Juli 2022. www.spleen-graz.at