Seit dem fulminanten Erfolg während eines Gastspiels des Stuttgarter Balletts an der Metropolitan Opera in New York 1969 zählt John Crankos meisterliches Werk „Onegin“ zu den beliebtesten Handlungsballetten weltweit. Die Rollen des „Onegin“ und der „Tatjana“ sind begehrt, weil man in dieser komplexen und vielschichtigen Choreographie sein Können beweisen kann. Zum Abschied nach sechzehn Jahren im Ensemble des Wiener Staatsballetts wünschte sich die Erste Solistin Nina Poláková, noch einmal die „Tatjana“ zu tanzen. An ihrer Seite unterstützte sie ihr routinierte Kollege Eno Peci als Onegin. Schön war das.
Ein besonderer Abend, den die gebürtige Slowakin Poláková mit großer Leichtigkeit bestritt, und zweifelsohne ist sie in die „Tatjana“ hineingewachsen und weiß deren emotionale Nuancen von anfangs jugendlich-schwärmerisch bis final leidenschaftlich und abgeklärt auszuspielen. Auch die „Olga“ hat Poláková längst getanzt und kennt jede Phase des Stückes bestens. Ihr Lieblingspartner als „Onegin“ war zwar Roman Lazik, doch der ist mitten in der Probenarbeit für die kommende Premiere „Liebeslieder Walzer“ am 14. Jänner. Mit Eno Peci gab ein ebenfalls erfahrener, technisch hervorragender und charismatischer Tänzer den „Onegin“ an ihrer Seite. Auch hier stimmte die Chemie und entsprechend harmonisch gestalteten die beiden die beiden großen Pas de deux im ersten und dritten Akt.
Peci legte seinen Onegin fast sogar zu wenig schnöselig an, wenn er der hinreißenden Tatjana die kalte Schulter zeigte. Doch Poláková transformierte die Sphären von Verliebtheit, Demütigung, verletztem Stolz, Leidenschaft, Rache und Bitterkeit gekonnt in ihre Bewegungen. Sie kostete ihr Spiel richtig aus, nahm sich Zeit und insgesamt war das Timing der beiden präzise. Auch Davide Dato schien sich als Lenski in dieser Vorstellung sehr wohl zu fühlen und war wie immer technisch top. Sehr quirlig tanzte Sonia Dvořák, seit dieser Saison Solistin, seine Verlobte Olga. Anmutig majestätisch schritt Rebecca Horner als Madame Larina über die Bühne, und Andrey Teterin gab einen soliden Fürsten Gremin. Alle zusammen unterstützten Poláková noch einmal, um der Freundin einen gelungenen Abschied zu ermöglichen, wie es schien.
Und so gelang ein schöner und stimmiger Abend, an dem die flüssige Tanzsprache Crankos mit Könnerschaft und Stil zelebriert wurde. Und natürlich gelangen auch die Pas de deux bestens mit den anspruchsvollen Hebungen und gedrehten Würfen, und das Publikum dankte mit Standing Ovations und vielen Blumensträußen. Wie schon ihr früherer Ballettdirektor Manuel Legris, der sich seinerzeit als großartiger Onegin von der Pariser Oper verabschiedet hatte, kann nun auch Poláková stolz auf ihre letzte Vorstellung mit dem Wiener Staatsballett zurückblicken. Hier hat sie viele schöne und herausfordernde Partien getanzt, sei es die „Manon“, „Raymonda“ oder „Giselle“, und auch in „Schwanensee“ und sämtlichen klassischen Balletten war sie dabei. Und natürlich auch in Stücken von Balanchine, Robbins, van Manen, Kylian, Forsythe, und das ist längst nicht alles. Wunderbar kam ihr Talent in Werken der Moderne (bleibenden Eindruck hinterließ sie etwa in Niels Christes "Before Nightfall") und auch jenen von jungen Choreograph*innen wie Natalia Horecna oder Edwaard Liang zur Geltung.
Nun beginnt ein neuer Abschnitt, in dem Poláková das Tanzgeschehen mitgestalten kann – als künstlerische Direktorin des Balletts am slowakischen Nationaltheater in Bratislava.
Wiener Staatsballett: "Onegin" am 11. Jänner 2021 in der Wiener Staatsoper.