Im letzten Teil ihrer Trilogie über Sexualität macht sich Christine Gaigg über die Affäre als solche her, aber richtig. Von allen Seiten beleuchtet sie diese auf das Ausleben sexueller Triebe abzielenden Beziehungen. Und sie ist dabei sehr gründlich. Vier PerformerInnen reden eine gute Stunde lang über das, worüber meist geschwiegen wird. In dieser Konzentration und der Art der Präsentation tatsächlich ein Erlebnis.
Die drei kommen ins Foyer, setzen sich auf eine Bank. Christine Gaigg zieht sich Hose und Höschen aus, entblößt ihre Brüste, steckt ihre rechte Hand in die Hose des grübelnden Robert Steijn (oder kratzt er sich nur an der Stirn?) und beginnt zu ihrer Linken mit Frank Willens, der eine dicke, aus seiner Hose ragende Zucchini in der Hand hält, zu plaudern. Unhörbar. Lange. Die Vorlage für diese Körperinstallation liefert ein Foto der 2012 verstorbenen US-amerikanischen feministischen Fotografin und Malerin Anita Steckel, die 1973 mit ihrer in einer U-Bahn inszenierten und retuschierten Fotografie „Giant Woman (Subway)“ auch den Titel dieses ersten Teiles der Performance inspirierte: „Reenactment, 1973“.
Erst dann geht es in die Halle G, deren dreieckige Bühne zum Ort intimer Begegnungen und ebensolcher Geständnisse und Erzählungen wird. Den zweiten Teil „Objet Trouvé, 1993“ beginnt die Vierte im Bunde (Juliane Werner), deren warme Stimme wohl zu hören, die Erzählerin jedoch zu suchen ist im Publikum, in das sich die vier PerformerInnen gemischt haben. Gut beleuchtet haben die ZuschauerInnen viel Gelegenheit, auch ihresgleichen zu beobachten, denn es passiert die meiste Zeit fast nichts. An die drei Rückwände projiziert erscheint in englisch der Text, den die vier in schnellen Wechseln scheibchenweise, und auf deutsch, in den Raum stellen. In Bruchstücke zerlegte, vierfach verschachtelte Gedanken-Ketten oder -Splitter, deren Charakter sich wandelt im Laufe der Zeit. Ein paar Mal unterbrochen wird der Textfluss von kurzen dunkleren, mit elektronischem Sound (Peter Plessas) garnierten Phasen der physischen Begegnung auf der Bühne. Sie küssen sich, streifen dabei die Hand eines Dritten, deuten Kopulationen an und stöhnen, jeder mit jedem, drängen sich dann an anderer Stelle ins Publikum. Und reden weiter.
Im dritten Teil „Samples, ab 2013“ lesen die beiden Frauen unter einer Stehlampe lange Texte. Arno Geiger, Schuld und Lust, Charlotte Roche, Erica Jong, Falter-Artikel, das Animalische, aufregendes Affärenleben. Der Abgrund. Und Willens und Stejn unterhalten das Publikum mit stummen, den körperlichen Kontakt zum Publikum suchenden, interaktiven Aktionen ...
In „Affair“, nach „Maybe the way you made love twenty years is the answer?“ (2014) und „Meet“ (2018) der letzte Teil der Trilogie über Sexualität, untersucht die Philosophin und Choreografin Christine Gaigg körperliche, geistige, psychische, soziale, gesellschaftliche, religiöse, moralische, politische und sogar strafrechtliche Aspekte der Beziehungs-Gattung Affäre in beeindruckender Bandbreite, in nüchterner, distanzierter Rationalität, und auch mit Humor. Tabus wischen die Worte mit Nonchalance vom Tisch.
Das Vertrauen und die Vertrautheit unter den PerformerInnen sind spürbar, was dieser Arbeit ihr Leben einhaucht. Die Leichtigkeit und Nähe der Präsentation in ihrer beinahe Wohnzimmer-Atmosphäre nehmen ein, ohne jedoch zu berühren. Und die Komplexität des Ergebnisses kann überraschen. Emotionen zwischen Lust und Frust, Sehnsucht und Eifersucht, Bangen und Verlangen, Panik und Tragik, Trauer und Liebe, Angst und Leidenschaft werden geschildert, aber nicht transportiert. Erotik und Sex spielen in den Worten und performativen Sequenzen die Hauptrolle, dennoch bleibt die Atmosphäre im Saal unterkühlt. Trotzdem war es sehens- und hörenswert.
Christine Gaigg: „Affair“ am 9. Bovember 2019 im Tanzquartier Wien