Tanz im Alter, Tanz mit Senioren, tanzend altern, wie immer man es nennen mag, das Thema, stellt den Jugendkult dieser Kunstform immer häufiger in Frage. In Wien gab es dazu neulich das „ALTERnative Festival“, in Leeds lud Yorkshire Dance mit dem „Ageless Festival“ dazu ein, Alter durch Tanz neu zu denken. Anregungen dazu gab es in Workshops, Gesprächen und Performances.
Tatsächlich ist es der Programmdirektorin von Yorkshire Dance, Hannah Robertshaw geglückt, in diesem Festival gängige Klischees weitgehend hinten an zu halten ohne jemals das Thema aus dem Blickfeld zu verlieren. Das lag auch an den sorgfältig programmierten Aufführungen älterer TänzerInnen, die von hinreißender, eklektischer Komik (Jo Fong und George Orange mit „The Rest of Our Lives“) über selbstdarstellerische Satire von Liz Agiss bis hin zu einer mitreißenden Einladung zum Tanzen von Riccardo Buscarini reichte. In „I Wish This Dance Would Never End“ verbindet der italienische Choreograf Tanzszenen aus Filmen der 1950er Jahre von Fellini, De Sica und Visconti mit einer Liebesgeschichte, die sich interaktiv in einer überaus klugen und geglückten Form der Publikumsbeteiligung entfaltet.
Die Grotesktänzerin Liz Agiss ist ein ganz anderes Kaliber. Frech, offensiv und – für britische Verhältnisse vielleicht auch – shocking, zeigt sie doch auch heute noch ihren nackten Hintern. Ihre Lebensgeschichte, die sie anhand von skurrilen Begebenheiten in „The President’s Wife is Still Dancing“ erzählt, ist exzentrisch und trotzig.
Der schnoddrige Stil prägt auch das Stück „Head in my Bag“, das Agiss für die SIX-0 Company kreiert hat und das Teil des dreiteiligen Programms „Celebrating Participation Performance“ war. Hier benehmen sich die älteren Damen und Herren eher wie alberne, renitente Teenager, und scheinen als enfants terribles jedenfalls großen Spaß zu haben. Choreografisch interessanter war da Yael Flexers Arbeit „Après Moi“ für die ThreeScore Dance Company, basierend auf Bewegungsmotiven von Balance und Fallen. Den Abschluss der partizipativen Beiträge war die Adaption eines Massen-Flashmob, den Yorkshire Dance mit TeilnehmerInnen ihrer Community-Programme anlässlich des Internationalen Tages der älteren Menschen in einem Einkaufszentrum aufgeführt hatte. Nun wurde das charmante Kurzstück für etwa 60 TänzerInnen für die Bühne adaptiert.
Diskussion: Zwischen Kunst und sozialer Teilhabe
Über die künstlerische Integrität dieser Community Dance Interventionen gibt es eigentlich keine Diskussion, denn die TänzerInnen agierten durchwegs professionell auf der Bühne. Doch auch in Großbritannien ist die Debatte über den künstlerischen Gehalt von partizipatorischen Projekten immer noch aktuell. In einer Gesprächsrunde wurde dieser in Hinblick auf Tanz mit älteren Erwachsenen verhandelt. Für Ensembles wie die SIX-0 Company geht es vor allem darum, dass ihnen der Zugang zu den Tanzbühnen des Landes nicht offen steht. Dabei stellt sich natürlich immer wieder die Frage, wer bestimmt, was künstlerische Qualität ist und was nicht. Es sind die wenigen Tanzhäuser und Tanzbühnen, die bestimmen, welche ChoreografInnen und Gruppen darauf spielen dürfen und wer die aktuellen künstleriscdhen Maßstäbe setzt. Dagegen partizipiert ein weitaus größere Szene am künstlerischen Tanz abseits dieser Bühnen. Kunst ist eine Pyramide.
Dennoch: Die Partizipation von Laien ist ein systemischer Teil des zeitgenössischen Tanzes und spielt seit Beginn des 20. Jahrhunderts immer wieder eine mehr oder weniger große Rolle. Dass damit auch soziale Zielsetzungen verfolgt werden, etwa das Tanzen für ältere Menschen nutzbar gemacht wird, ist eine Entwicklung der letzten 50 Jahre. Die Teilnahme an einer Performance im Theater ist vielleicht die wichtigste Lernerfahrung für die TeilnehmerInnen.
Die Benefits sind in jedem Fall untrennbar mit der künstlerisch-kreativen Erfahrung der TeilnehmerInnen verbunden. Studien dazu wurden auch beim Ageless Festival präsentiert, etwa von Laura Britten von der School of Biomedical Sciences an der Universität Leeds, die das dreijährige Projekt „Dance On“ von Yorkshire Dance wissenschaftlich begleitet. Emily Bradford wiederum unternimmt eine systematische Review von Studien aus allen Kunstsparten zum Thema „Creative Aging“, wobei der Tanzbereich die beste Forschungslage aufweist.
Für Choreografien im sozialen Kontext gelten allerdings andere Kriterien der Beurteilung als für Mainstream Performances. Die Choreografin Cecilia Macfarlane hielt aufgrund ihrer jahrzehntelangen Erfahrung mit partizipativen Formaten ein leidenschaftliches Plädoyer für einen „rule breaker“. Sie spricht vom choreografischen Prozess für ältere TänzerInnen (oder für jüngere, die nicht den perfekten Körper haben) nicht von einer Anpassung oder Adaption, sondern von einer Übersetzung von Bewegungsmaterial und plädierte für eine Anerkennung von „alternative excellencies“. Der von ihr gehaltene Workshop beim Festival war ein überzeugende Case Study für ihren Ansatz.
Alan Lyddiard, Regisseur und Leiter des Performance Ensemble mit DarstellerInnen über 60 in einem integrativen Mix von professionellen und Amateur-TänzerInnen und -Schauspielerinnen, fordert hingegen einen kompromisslosen künstlerischen Anspruch ein, wie ihn etwa Pina Bausch mit ihrem „Kontakthof für Damen und Herren über 60“ gestellt hat.
Ageless Solo Platform
Sowohl die „alternativen Qualitäten“ sowie Alan Lyddiards sorgfältige Regieführung waren beim Abschlussabend des Festivals in den Soli von Tamara McLorg („The Chairs Were Moved To Give me Passage“) und Namron („Coming to England“) zu sehen. Die dritte Performerin der „Ageless Solo Platform“ war die kanadische Tänzerin Claudia Moore. Alle drei blicken auf eine etwa 50-jährige Bühnenkarriere zurück und haben in ihren aktuellen Arbeiten nicht ihr Alter, sehr wohl aber ihre Lebenserfahrung ihrem Alter entsprechend in Bewegung „übersetzt“.
Tamara McLorg begann ihre Karriere zwar als Solotänzerin, es war aber ihre Arbeit als Choreografin mit unterschiedlichen Communities, die sie um die ganze Welt geführt hat. (Unter anderem hat sie in Wien das Copmmunity Dance Programm Tanz die Toleranz aufgebaut.) In ihrem Stück stellt sie ihren persönlichen Alltag als Choreografin und als Animateurin, die immer gut gelaunt ihre Tanzstunde hält, ihrer Begegnung mit Armut in Afrika, Südamerika, und mittlerweile auch wieder in England – gegenüber. In einfachen Bildern, in der die unterschiedlichen Positionen eines Stuhles im Raum die Stationen ihrer Reisen markieren, wird aus dem berührenden Erfahrungsportrait einer Künstlerin, die ihre Geschichte tanzend und erzählend mit einer Prise Selbstironie färbt, ein Appell für eine humanitäre Welt.
Namron ist ebenfalls ein Urgestein des zeitgenössischen Tanzes, der erste schwarze Tänzer, der von einer britischen Tanzcompagnie angestellt wurde. Er war ein Gründungsmitglied der London Contemporary Dance Group, der er 18 Jahre lange angehörte. Seit der Gründung der mittlerweile renommierten Northern School of Contemporary Dance in Leeds lehrte er dort 15 Jahre lang. In der „Ageless Solo Platform“ performte er zwei kurze Solos. In „Coming to England“ rekreiert er die Eindrücke eines 13-jährigen der Windrush-Generation bei seiner Ankunft aus der Karibik. „Missing“, handelt vom Verlust nahestehender Menschen. Mit dem Rücken zum Publikum auf einem Stuhl sitzend verkörpert Namron einen Dialog zwischen Vater und Sohn. Mit sparsamen Gesten vermag der 75-jährige auch heute noch die Aufmerksamkeit des Publikums zu bannen.
Ebenso wie Claudia Moore, die in einem Tryptichon aus Mini-Soli in einer Art meditativer Selbstreflexion lyrische Stimmungsbilder kreiert.
Dieser Abend mit drei reifen KünstlerInnen entließ das Publikum zum Abschluss des Festivals mit einer Perspektive des zeitgenössischen Tanzes, die die ZuseherInnen direkt emotional anspricht. Ihre Lebensbilder sind unsere kollektive Erfahrung. Und diese ist unabhängig von Moden, Trends und vom Alter – ageless eben.
Yorkshire Dance „Ageless Festival“, 25. und 26. Oktober in Leeds, UK.