Drei sehr verschiedene Körper. Drei ausgeprägte Künstler-Persönlichkeiten. Mit „We Bodies“ präsentieren Teresa Vittucci, Michael Turinsky und Claire Vivianne Sobottke im WUK ein in jahrelanger Arbeit gemeinsam entwickeltes Stück, in dem sie ihre Körper auf Zu- und Einschreibungen untersuchen. Und sie finden Monster.
Eine riesige runde Matte bedeckt den Boden der weiß gehaltenen Bühne. Zwei dunkle, schräge Spiegel, eine transparente Fläche, links zwei Stühle, rechts vorn das große Pult des Musikers. Die drei PerformerInnen sitzen am vorderen Bühnenrand eng beisammen, als das Publikum den Saal betritt. In die Stille tröpfelt der Sound. Bling. Bling. Michael Turinsky beginnt auf Knien nach hinten zu rutschen. Er wackelt. Seine spastische Lähmung erlaubt dem in Wien ansässigen studierten Philosophen, nun Choreograf, Performer und Theoretiker, nicht, den Körper ruhig zu halten. Claire Vivianne Sobottke, deutsche Schauspielerin, Tänzerin und Performerin, folgt ihm auf allen Vieren, die gebürtige Wienerin Teresa Vittucci, Choreografin und Tänzerin, geht aufrecht.
Was sie in Slow Motion beginnen, geht über in teils rasante Wechsel und Wandlungen. Zärtliche bis derbe Neckereien, diabolische Fratzen, von der vorsichtigen, tastenden Aneignung des Raumes und seiner Position darin bis zur ekstatischen Feier der individuell geprägten Körper und des reinen Seins. Nacktheit wird zum Instrument einer kämpferischen und spielerischen Selbst-Aneignung und -Behauptung. Auch das selbstverständliche Ausleben jedweder Intimität und wie auch immer orientierten Sexualität wird zelebriert. Und die Verwandlung der Schlanken in ein Michelin-Frauchen, der Dicken in ein zottiges Ungetüm und des Spastikers in ein pelzummanteltes, verschleiertes, androgynes Wesen zeigt nur EINE andere Seite, nur EINE weitere Möglichkeit physischer Repräsentation.
In ihrem Programmtext heißt es: „Das Monster ist ein Mischwesen: Weder Mann noch Frau, weder Tier noch Mensch, weder natürlich noch künstlich. Das Monster kann unsere Vorstellungen von Normalität außer Kraft setzten.“ Wer entscheidet, was normal ist, wenn nicht wir? Wie leben wir diese unsere Normalität? Sie hinterfragen die aktuellen neoliberalen (nicht nur physischen) Normierungen, sprechen von Erwartungshaltungen und Vorurteilen, von gesellschaftlichen und ideologischen Ächtungen. Sie lassen ihre Spiegelneuronen wirken, leben Ab- und Ausgrenzung, Akzeptanz und Toleranz, Anpassung und Rebellion. Sie stellen die unbewusste Übernahme von sozialen und gesellschaftlichen Normen der bewussten Reflexion und Steuerung der Selbst-Erfahrung gegenüber. Sie laden, indem sie ruhig ins Publikum blicken, ein dazu, die eigenen Positionen zu befragen.
Und sie präsentieren Körper-Ideale im Lichte von Zeitgeist, Moden und Ideologien, musikalisch genial umgesetzt in einer Gesangseinlage. Per Vocoder (live gespielt von Tian Rotteveel) werden die jeweiligen Stimmen der drei in verzerrte schrille, gestörte barocke und verzeichnete heutige Klangfolgen überführt. „Ich bin stolz auf dich! Nicht auf mich.“ Der Körper wird als von der Psyche abgetrennt empfunden und bewertet, wird zum Spielfeld eigener wie fremder psychischer Sabotagen. „Keine Angst mehr! Keinen Schmerz mehr!“ Das Publikum bejubelt die drei.
Das affekt-induzierte, unbewusste Leben und Erleben (nicht nur) seines eigenen Körpers und das des Anderen stellt die zentrale steuernde Kraft dieser Performance dar. Im Kontext westlicher, spätkapitalistischer, patriarchaler und christlicher Prägungen des Menschenbildes mit seinen ab- und ausgrenzenden inhumanen Auswüchsen übernehmen sie Verantwortung, auch für ihre intrapsychischen Konditionierungen. Sie zeigen letztlich den Prozess und das Resultat der Emanzipation von historisch-traditionellen, sozialen, gesellschaftlichen, religiösen und politischen Festschreibungen.
Sie fordern und feiern von zärtlich-sinnlich bis skurril-grotesk, radikal konfrontativ und provokativ die heiligen Dreieinigkeiten. Dreifach. Die von drei sehr unterschiedlichen Körpern, die von Körper, Geist und Seele und die von der die Polarität überwindenden Einheit. Denn das Monströse ist nicht der menschliche Körper. Es ist der alles und jeden voneinander separierende menschliche (Un-) Geist.
Vitucci / Turinsky/ Sobottke: „We Bodies“ am 16. Oktober 2019 im WUK. Weitere Vorstellungen am 18. und 19. Oktober