Der Studiengang Zeitgenössischer und Klassischer Tanz der MUK (Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien) veranstaltete, wie seit einigen Jahren bereits, im Muth seine praktische Bachelorprüfung mit der Premiere eines dreiteiligen Abends mit Choreografien von Darren Ellis, Esther Balfe und Doris Uhlich.
Die drei inhaltlich wie tänzerisch sehr unterschiedliche Arbeiten verlangten den AbsolventInnen, sechs Frauen und zwei Männer, einiges ab und erlaubten ihnen, ihr in vier Jahren Studium erworbenes Können und ihre Vielseitigkeit zu präsentieren.
Darren Ellis: „human being human“
Der Brite Darren Ellis, international tätiger Tänzer und Choreograf, war unter anderem Mitglied in Wayne McGregor´s Company, und ist erfahren in der Arbeit mit Studenten. Er entwickelte gemeinsam mit den Studierenden der MUK eine tänzerisch breitbasig angelegte Choreografie, die neben Gruppen-Szenen und Duetten auch jedem Einzelnen „sein“ Solo ermöglichte. Das Bewegungsmaterial enthielt neben klassischen Zitaten und Natur-Studien viel Zeitgenössisches, wechselnde Synchronizitäten und verlangte Persönlichkeit und Reife. Und von Letzterem war in dieser bewegenden Arbeit partiell bereits erstaunlich Ausgeprägtes zu sehen.
Die Geschichte dieses Stückes ist schnell erzählt: Vom Affen zum Menschen, dessen Deformierung und anschließende Regression ins Un-Menschliche, zurück zum Primaten. Was allerdings Choreografie, Musik, Bühnenbild und Licht aus dieser Zeitraffer-Story machten, war sehens- und hörenswert. In Hintergrund strahlt die Morgendämmerung glutrot auf der Leinwand, während sich die acht TänzerInnen, in weiße Tops und Pullover, weite blaue und hellgraue Hosen und schwarze Socken gekleidet, im Sturm auf allen Vieren und mit den Händen im Knöchelgang bewegen. Sie peitschen sich selbst mit den Armen, mimen die Dynamik einer Affenhorde. Eine Tänzerin richtet sich auf, unsicher noch, lernt das Stehen, als Erste. Sie tanzen die Entwicklung zur Humanität, zum empathischen, solidarischen Miteinander im Kleinen wie im Großen. Ganz dicht vor dem Publikum aufgereiht beginnt die Verformung. Krampfig, nur noch Zerrbilder ihrer selbst, weichen sie zurück, sacken langsam zusammen, um am Ende, zu trauriger Musik, wieder eine Horde Primaten zu sein.
Esther Balfe: „Dark Swans“
Basierend auf Material von „Little Swans“ von Liz King und Catherine Guerin aus dem Jahre 1999 werden in „Dark Swans“ unter der Leitung von Esther Balfe, die bereits in der an der Volksoper Wien gezeigten Originalversion mittanzte, Szenen wie eine Zusammenstellung von Übungsmaterial präsentiert. Die zehn TänzerInnen – zwei StudentInnen des dritten Jahrganges unterstützen hier mit kaum merklichem Niveauunterschied – tragen weiße, knielange Kleider und orangefarbene Socken. Sie tanzen in Solos, Duetten, Trios und als Corps de ballet klassisches und zeitgenössisches Material (die Einflüsse von Liz King und William Forsythe zum Beispiel sind erkennbar), choreografisch strukturiert und auch eher improvisiert anmutend zu elektronisch-rhythmischer Musik, in die Sequenzen der Originalmusik aus „Schwanensee“ eingewebt werden.
Und dann der Bruch: Nun in Trainingshosen und Shirts und zu einem gefühlvollen Song von Douglas Dare (nur Piano und Gesang) tanzt ein erstes Paar allein auf der Bühne ein kurzes Duett. Nach und nach füllt sich die Szene mit diversen tanzenden Paarungen. Und ein Tisch wird hereingetragen, auf dem sich am Ende alle zehn TänzerInnen wie zum Gruppenfoto scherzend miteinander im Spotlight drängen. Ein so sympathisches Bild, das spüren lässt, wie sehr die jungen TänzerInnen zusammengewachsen sind.
Doris Uhlich: „Powers“
Harter Techno-Sound und hochenergetischer Tanz: Inspirieren ließen sich Doris Uhlich und Boris Kopeinig, von dem die Musik stammt, für diese Arbeit auch von einem 1976 geführten Interview mit Patti Smith, der „Godmother of Punk“. In den später eingespielten Auszügen spricht sie von der Bedeutung der Verbindung von Kopf, Herz und Hand.
Durchsetzt mit Songs der Pop-Geschichte ist die Musik wie ein Rahmen für die gemeinsam mit den acht AbsolventInnen erarbeitete Choreografie. Und weil Doris Uhlich, von Manchem als „Beauftragte für Energie und hüpfendes Fleisch, gern auch im Rollstuhl“ wahrgenommen, Körper und Tanz als Medien nicht mehr hinreichend erscheinen, benutzen sie und die TänzerInnen markerschütterndes Gebrüll, Worte und eingespielten Text, um ihre Botschaften klarer zu formulieren. Und sie haben Botschaften!
Sie tanzen zum Techno mit viel Körperkontakt explizite Erotik, einer fragt singend in Stille „Was tut ihr mit uns?“, bei „The devil is alive“ bricht Gewalt aus in der Gemeinschaft, während „Do you trust in me?“ verhüllen sie sich selbst ihre Gesichter und Köpfe mit schwarzen Tüchern. Und einer Tänzerin wird zusätzlich von einer Kollegin ein Tuch um den Rumpf gebunden, das die Arme an ihn fesselt. In Spitzenschuhen, ebenfalls von der Kollegin angezogen, die Knöchel eng aneinander gebundenen, tippelt sie trotz oder auch gerade wegen der Behinderungen durch die Menge der umherirrenden KollegInnen. Eines der stärksten Bilder des Abends!
„Be afraid of the human heart!“ warnen sie, und entledigen sich mehr und weniger ganz ihrer von Zarah Brandl entworfenen sportiven, bunt gescheckten Kostüme. Aufrecht und am Boden zuckend skandieren sie „Wake up, before it´s too late!“ und verlassen nach und nach die Bühne in alle Richtungen.
„Powers“ ist packend. Nicht nur wegen seiner musikalisch-tänzerischen Dynamik, der beeindruckenden Geschlossenheit, die diese temporäre „Compagnie Uhlich“ da an den Tag legt, sondern insbesondere wegen der von jedem Einzelnen getragenen kraft- und machtvollen Ästhetik und Metaphorik der Bilder.
Die Anschauung der menschlichen Seele einerseits und des Zustandes der Welt andererseits, die Feier des Körpers und des Lebens, die Bewusstmachung des eigenen schöpferischen Potentials, im destruktiven wie konstruktiven Sinne, und der dringende Anruf des Schöpfers in uns allen machen die Choreografie „Powers“ zu einer ganz starken.
Fazit: Dass die zwischen 19 und 25 Jahre jungen TänzerInnen mit so namhaften Choreografen diese Stücke entwickeln konnten und durften, ist sicher ein (vom MUK provoziertes) Glück. Haltung, wie sie Nikolaus Selimov ihnen für ihren weiteren Weg wünschte, haben sie alle hier bewiesen. Im Fokus dieser Veranstaltung stand jedoch der Nachweis der in der vierjährigen Ausbildung an der MUK erworbenen physischen und künstlerischen Fähigkeiten im klassischen und zeitgenössischen Tanz, was den acht TeilnehmerInnen auf differenziert hohem Niveau gelang. Ihr Alter, der Grad ihrer persönlichen Reife und ihre partiell bereits gesammelte Bühnenerfahrung und die damit gewonnene Sicherheit spielen natürlich eine gewichtige Rolle. Verena Herterich, Ivana Kacanski und Diana Wöhrl, die mit bereits deutlich sichtbarer Tänzerinnen-Persönlichkeit und der daraus resultierenden Ausdrucksstärke performten, stachen für mich heraus. Relativierend muss jedoch angemerkt werden, dass die Gruppe das selbe Programm am zweiten Abend, ohne Prüfungs- und Premieren-Druck, wesentlich homogener, sicherer, befreiter auf die Bühne brachte.
Mögen die acht AbsolventInnen, außer den oben Erwähnten sind das Lukas Knoll, Matthias Pfeifer, Marie Schmitz, Sophia Schneider und Jasmin Steffl, Ihren individuellen Beitrag zur Bereicherung der Welt des Tanzes leisten. Bereits vereinbarte Engagements oder Projekte in der freien Szene zeigen, dass es weiter gehen wird.
„ARTICULATION“, AbsolventInnen der MUK im Muth, am 1. und 2. April 2019