„Frauen in der Musik“: Mit diesem inhaltlichen, aber auch performativen Fokus begaben sich das Trio Frühstück und die Tänzerin und Choreografin Veza Fernandez im Muth auf eine spektral sehr breit angelegte kammermusikalische Reise von Neuer Musik mit Komposition von Olga Neuwirth, Melanie Bonis und Sophie Abraham bis zum klassischen Klaviertrio der Clara Schumann und einer unernsten Zugabe.
Die Bühne und der Zuschauerraum sind dunkel am Beginn. Man hört Frauenstimmen von hinten und vorn, sieht, wie sich die Violinistin und die Cellistin mit ihren Instrumenten langsam durch die Gänge zur Bühne begeben, auch auf der Bühne erahnt man zwei Gestalten. Gezupfte Saiten und vokale und lyrische Splitter, atonal und arhythmisch, leiten das erste Stück des Abends ein: „Quasare / Pulsare II“ von Olga Neuwirth, entstanden 1995-96 und 2017. Der Name dieser kosmischen Strukturen, Quellen höchstenergetischer Strahlungen, ist wie ein metaphorisches Programm für die jenseits jeglicher klassischer Strukturen angelegte Komposition, die auch mit den Mitteln des präparierten Klaviers (mit Radiergummis, Silikon- und Schaumstoffbällchen werden einzelne Saiten klanglich beeinflusst) versucht, Hörgewohnheiten zu ignorieren und zu überwuchern mit Staccati und Glissandi, mit einer nervösen Fülle an Geräuschen und Klängen, die einem Klavier, einer Violine, einem Cello und menschlicher Stimme zu entlocken sind. Und immer steht da dieser hohe Ton, gleich einer Rückkopplung, hervorgerufen durch einen auf einer Saite liegenden E-Bow, dessen Entfernung so ein „Endlich!“-Gefühl erzeugt … Wahrlich eine Herausforderung für das eher klassisch vorgespannte Publikum.
Aber dann wird es schön. Wenigstens musikalisch. Mit Clara Schumanns Klaviertrio g-Moll von 1765 zeigen Clara Frühstück am Klavier, Sophie Abraham am Cello und Maria Sawerthal an der Violine erstmals an diesem Abend, mit welcher Konzentration und perfekter Abstimmung sie klassische Stoffe zu interpretieren in der Lage sind, technisch brillant und mit viel Feingefühl. Zu diesem viersätzigen Werk performt Veza Fernandez, nicht weit neben den zwei Streicherinnen auf einem Klavierhocker sitzend. In ihrem weiß-schwarzen Overall bewegt sie sich sparsam, langsam, fließend. Sie steckt sich alle Finger in den Mund, überstreckt den Kopf nach hinten. Sie stopft sich ein Schmuckband in den Mund, dessen lange glitzernde Schnüre hängen heraus bis auf den Boden. Mit einem Haarteil bedeckt sie ihr Gesicht. Und sie füllt ihrem Mund ganz langsam mit vielen Perlen, die sie nach dem Verklingen des Abschluss-Akkordes Stück für Stück auf den Boden fallen lässt. Die Geräusche von Aufprall und Rollen am Boden werden leider durch den auflebenden Beifall übertönt. Clara Schumanns Klaviertrio und die begleitende Performance waren für mich der stärkste Teil des Abends. Einerseits die Interpretation dieses Werkes einer von den Kunst-Patriarchen ihrer Zeit diffamierten Komponistinnen-Persönlichkeit, andererseits deren innere Emigration, fühlbar gemacht durch die oral-regressive Selbst- und Welt-Aneignung, großartig herausgearbeitet durch Veza Fernanadez.
Nach der Pause empfing Veza Fernandez das Publikum mit Intonationsübungen. Ahh - crescendo - stop. Das lockert auf für das folgende Trio „Soir & Matin“ von Melanie Bonis, entstanden 1907, das den Ton aus dem Publikum kurz aufnimmt. Diesem impressionistischen Werk kann man sich nur schwer entziehen. Bilder einer harmonischen Abendstimmung, das Erwachen der Vögel und die Energie des beginnenden Tages werden durch die facettenreiche Interpretation der drei Musikerinnen und durch den begleitenden Tanz von Veza Fernandez unabweisbar induziert.
„Jonathan“ heißt die erste der zwei Eigenkompositionen der Cellistin Sophie Abraham. Der poetische Text dieses kunstvoll strukturierten Liedes von 2015 wird von ihr gesungen mit ungemein warmer, an Susan Vega erinnernder Stimme. Was für eine schöne Überraschung! Ihre zweite, komplexere Komposition („Moonday“ von 2017) wird gesanglich von Veza Fernandez begleitet. Dieses Stück gibt allen Instrumentalistinnen noch einmal Gelegenheit, ihre Meisterschaft zu präsentieren. Von wuchtig bis jazzig, von verspielter Einfachheit bin zu komplexen rhythmischen Strukturen, ein furioses Finale. Und am Ende kriecht Veza Fernandez unter das Klavier, das Gesicht nach oben gen Resonanzboden gewandt, und genießt das „Im Klang sein“ so sehr, dass es selbst für mich erlebbar wird.
Aber sie kamen noch einmal: Ein Liedchen, etwa so: „Die Sonne scheint so schön. Und dann der Regen! Aber so ist das Leben ...“ markiert augenzwinkernd die Essenz aller Weisheit.
Ein gelungener Abend voller Überraschungen. Auch, weil es nicht nur einfach um Musik ging, sondern weil Kunst von Frauen in ihren gesellschafts- und entstehungsgeschichtlichen Kontext gestellt wurde. Rundherum ein Genuss!
„Laute Frauen“; Trio Frühstück und Veza Fernandez, Muth, Konzertsaal der Wiener Sängerknaben, am 22. Februar 2019