Zuerst sind da die Eindrücke, die einen formen und prägen. Man verarbeitet sie, montiert sie, ordnet sie um und zerstört sie. Und dann drückt man sich aus, teilt sich mit. So zeigte es Meg Stuart in ihrem sehr persönlichen Solostück „Hunter“, das sehr dicht und spannend gelungen ist. Es ist ein bisschen wie eine Zwischenbilanz, eine Betrachtung ihres Lebens in kurzen Schlaglichtern.
Körper und Technik als erstes Bild, wie in vielen Tanzstücken heute. Meg Stuart sitzt im Trainingsanzug mit dem Rücken zum Publikum an einem Schneidetisch und zerschnipselt alte Fotos, montiert sie und klebt sie aneinander. Sie sitzt unter einer Art Zeltaufbau, dem noch die Planen fehlen, und während sie vor sich hin arbeitet, überträgt die Kamera auf einem hängenden Stoffstück auf der anderen Bühnenseite ein Livevideo ihres Tuns, ihre Hände mit den Fotografien im Fokus. Dazu gibt es eine Geräuschkulisse aus Musik, O-Tönen von Leuten, nervigem Krach. Ein Sammelsurium von Bildern, von Tönen.
Vielleicht ist es ein Erinnerungsraum, denn Stuart geht offensichtlich mit ihrer Vergangenheit um. Was war, was ist gerade? So arbeitet sie vor sich hin, und trotz der gar nicht wohligen Lautstärke kommt beinahe so etwas wie ein meditativer Zustand auf. Eigentlich fehlt keine weitere Aktivität. Doch es ist ja trotzdem noch Theater, irgendwie, und Stuart ist schließlich auch Tänzerin. Sie erhebt sich also und beginnt den choreographischen Part des Abends, eine Art Tanz zu den Geräuschflächen, in konvulsiven, zackigen Bewegungen, sehr rhythmisch und präzise ausgeführt.
Dazwischen wechselt sie die Kleidung, etwa schlüpft sie unter ein riesiges, buntes Ding, das wie ein Kleid aussieht, aber sehr merkwürdige Ausbuchtungen hat. Es gibt ihr etwas Priesterliches, und auch die Langhaarperücke später erinnert an Schamanen. So mäandert Stuart von einer Figur zur nächsten, kriecht, windet sich am Boden, legt sich kurz auf eine Bank aus Plexiglas, dreht Runden mit einer durchsichtigen Scheibe, die in unterschiedliches Licht getaucht wird. So entstehen schöne, bewegte Bilder, und überhaupt sind Bühne und Licht sehr ästhetisch.
Und dann, als sie sich final umgezogen hat und mit Fellstiefeln und in orangefarbenem Daunengilet zurückkommt, erweitert sie den tänzerischen um den stimmlichen Part. Nicht, dass man das vermisst hätte, was nahezu schon in exzessiver Manier in Tanzstücken zur Mode geworden ist in den letzten Jahrzehnten. Doch es macht Sinn bei Stuart. In sehr komprimierter Form spricht sie kurze Statements über ihre Gedanken zu verschiedenen Themen ihres persönlichen Lebens.
So erwähnt sie ihr Gedächtnis, das als körperliches weitaus besser funktioniere als das textliche. Oder ihre Trauer über das Ableben von Trisha Brown, die ja zuletzt dement geworden war. Welche Träume man wohl habe, wenn keine Erinnerung mehr vorhanden sei? Oder dass der traurige Verlust verstorbener Eltern leider auch eine Vermehrung von unnötigen Dingen bedeute, wie Wohnzimmermöbel, die man gar nicht brauche. Und so spricht sie von verschiedenen Erkenntnissen, die von banalen Erlebnissen ausgehen können und doch in philosophische Dimensionen weisen. Stimme bedeutet auch Gesang, die logische Steigerung. Und so singt Stuart schließlich, verstärkt von herabgelassenen runden Boxen, die zu rotieren beginnen. Ein Song über das Leben, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Meg Stuart „Hunter“ am 20. April im Tanzquartier Wien. Weitere Vorstellungen am 21. April 2016