Püppchen und Diva posieren ohne das Ich um die Wette. In ihrer ersten gemeinsamen Produktion „Wallflowering“, die am Abend des Internationalen Weltfrauentages Uraufführung in der Salzburger ARGEkultur feierte, parodieren Iris Heitzinger und Françoise Boillat mit eindrucksvollen Posen das Frausein und ersetzen dessen Identität.
Zwei weibliche Körper in schwarzen Dominaoutfits mit übergroßen Schultern, strenge Mienen, entschlossene Blicke, finstere Beats wummern lautstark im Hintergrund. Dann der Bruch. Im Handumdrehen wechseln die beiden Performerinnen ihre Roben und zu unterwürfigem Püppchengehabe. Zwischen Doll und Diva liegt bei Choreografin Iris Heitzinger und Schauspielerin Françoise Boillat nur ein Wimpernschlag..
„Der Körper ist kein Ding, sondern eine Situation“, schrieb Simone de Beauvoir 1949 in dem von ihr verfassten Meilenstein der Genderforschung „Das andere Geschlecht“. An diesen Gedanken fühlt man sich erinnert. Denn die beiden Künstlerinnen konterkarieren ihn popartmäßig, vergrößern diese Situationen und stellen sie radikal aus. Die Übergänge verlaufen nahtlos im Kaleidoskop weiblicher Stereotype. Das Posieren retuschiert dabei das Mark des eigentlichen Ichs bis zur Unkenntlichkeit. Das Kalkül überdeckt die Natürlichkeit und gerät so immer mehr zur Groteske. Doch wo verläuft die Grenze zwischen selbstgewählter Maskerade und äußeren Zuschreibungen? An welchem Punkt wandelt sich die Pose zur Last und die Lust zur Pflicht? Derartige Fragen stellen die Künstlerinnen in ihrer einstündigen Performance bildmächtig dem Publikum.
Als Ausgangspunkt dienten die drei ästhetisch divergierenden Standpunkte der Künstlerinnen Francesca Woodman, Cindy Sherman und Chantal Michel. Das Frauenbild ihrer Oeuvres ist höchst unterschiedlich angelegt. Für einen zusätzlichen Spannungsbogen sorgt in „Wallflowering“ die äußerliche Erscheinung der beiden Performerinnen. Ihr grundverschiedener Typus, den weder Schminke noch Kleidung zu homogenisieren vermögen, durchbricht die Gleichförmigkeit synchroner Bewegungsabläufe und identer Looks. Denn obwohl Iris Heitzinger und Françoise Boillat in den ausdrucksstarken Kostümen von Christine Hinterkörner bis ins Detail einheitlich gekleidet sind, und ihre Gesten einem Synchronballett von Zwillingsschwestern gleicht, verfügen sie über jeweils andere Körpermerkmale und Bewegungsformen. Das heterogene Aussehen von Tänzerin und Schauspielerin fügt einen doppelten Boden ein. Was dennoch umso vehementer klafft ist die Leerstelle weiblicher Identität.
Nur am Ende, wenn die Musik schweigt, die Schminke abgewischt ist und die Glitzerstiefletten in der Ecke stehen, schimmert ein wenig Wesenhaftigkeit der Künstlerinnen durch. Die Maskerade ist zu Ende, der Abend auch. „Wallflowering“ ist eine erlebenswerte Reise an die Grenzen sozialer Konstrukte. Wundervoll gelingt dabei das Ineinanderfließen von Performance, Kostüm, Bühne und Musik (André Décosterd). Augenscheinlich funkt das gesamte leading team auf Augenhöhe.
„Wallflowering“ von Iris Heitzinger und Françoise Boillat, Uraufführung am 8.3., weitere Vorstellung: 10.3. in Arge Kultur Salzburg; Termine in der Schweiz: Théâtre ABC, La Chaux-de-Fonds, 17. bis 19. März 2017