Große russische Poesie ist Alexander Puschkins Versroman "Eugen Onegin" (1831), und reinste Poesie vermittelt John Crankos 1965 für sein Stuttgarter Ballett choreographiertes abendfüllendes "Onegin"-Ballett. Von Puschkin und russischer Seele geführt hat John Cranko ein außergewöhnlich sensibel erzählendes Tanzdrama geschaffen.
Mit scharfem Fokus auf die jeweiligen psychischen Konstitutionen der liebenden Paare konzentriert, deren seelischen Regungen in einer Folge von Pas de deux in ein kunstvolles Bewegungsspiel übersetzend. Cranko erzählt geradlinig, ganz ohne Beiwerk, überwältigt dabei mit einer Fülle an Emotionen. Natürlich, russische Folklore am Lande wie Walzer und Grand Polonaise der aristokratischen Gesellschaft umhüllen diese schicksalhaften Begegnungen. Emphatische Musik von Peter Iljitsch Tschaikowski erklingt dazu. Doch nur zum kleineren Teil original (Exzerpte aus "Francesca da Rimini" oder aus der Oper "Oxanas Launen") – Crankos Hausdirigent Karl-Heinz Stolze orchestrierte für ihn zur dezenten Untermalung diverse Klavierstücke (u.a. aus "Die Jahreszeiten"). Jetzt am Dirigentenpult von Guillermo García Calvo mit der entsprechenden Hingabe vermittelt.
"Onegin" wurde 2006 erstmals vom Ballett der Wiener Staatsoper getanzt, und nach der vorjährigen neuen Einstudierung ist nun bei der Wiederaufnahme eine schon sehr beeindruckende Aufführung geglückt. Mädchen- und märchenhaft beginnt es, wenn Maria Yakovleva als Tatjana und Natascha Mair (Olga) in einer ländlichen Idylle von ihren Liebesgefühlen überwältigt werden. Elegante Erscheinungen sind ihnen hier Eno Peci in der Titelrolle des überheblich stolzen jungen Adeligen und Denys Cherevycko als dessen Freund Lenski.
Psychologisch fein nuanciert geschildert entwickeln sich die Konflikte, das Drama spitzt sich zu, und zart, schuldlos leidend bleibt Tatjana allein auf der Bühne zurück. Tänzerisch in den höchst fordernden Pas mit Eno Peci wie in ihrer verinnerlichten Darstellung absolut überzeugend wirkte Yakovleva bei ihrem Rollendebüt. Als sich nobel im Hintergrund haltender Fürst Gremin überzeugte Alexandru Tcacenco in einem weiteren Rollendebüt. Mit Tiefgang linear schnörkellos erzählt und perfekt studiert von den Solisten wie in den Ensembleszenen getanzt, hat dieses poetische Melodrama das Publikum wirkungsvoll zu sensibilisieren vermocht.
Wiener Staatsballett "Onegin" am 1. März in der Wiener Staatsoper. Weitere Aufführungen am 4. und 22. März, 4., 10. und 12. April 2017