Intendantenwechsel stehen für Veränderungen. Eine Tatsache, die den nie um passende Worte verlegenen Kompaniechef Eric Gauthier umtreibt. Am 4. November begrüßte er sein altersmäßig bunt zusammengewürfeltes Publikum in der Münchner Schauburg mit der Warnung: „Dies könnte unser vorletztes Gastspiel in diesem schönen Laden sein!“ Das nächste im April 2017 jedenfalls wird sensationell. Mit „Nijinsky“ landete Marco Goecke für die am Theaterhaus Stuttgart beheimatete, enorm erfolgreiche Tanztruppe im vergangenen Sommer einen biografisch-abendfüllenden Coup, den man gesehen haben muss.
Unter dem Slogan „Tanz muss doch nicht immer so verdammt ernst sein!“ wurden von Gauthier Dance schon Tausende für die Sparte infiziert. Jüngst wechselte der Träger des Bayerischen Kulturpreises 2015, Theophilus Veselý, von Augsburg in die Kompanie. Viele renommierte Choreografen haben ihre Werke Gauthiers Truppe anvertraut. Diesmal mit von der Partie: das subtile Beziehungs-Duett „Now and Now“ des Schweden Johan Inger. Und als finales Highlight: Hans van Manens mit Sarkasmus gewürzter „Black Cake“ (UA 1989 zum 30-jährigen Jubiläum des Netherlands Dance Theater).
Für „Infinity“, ein im achten Jahr von Gauthier Dance erstmals aufgeführtes Programm, stehen acht Choreografien für die unendlichen Möglichkeiten, sich rein körperlich-tänzerisch auszudrücken. Die Reise durch verschiedenste Gedankenwelten zeitgenössischer Choreografen ließ das 16-köpfige Ensemble düster angehen. Zäh wie Teer verbreiten in Nanine Linnings „The Black Painting“ fünf Tänzer in barock ausladenden Gewänder Beklemmung. Wie schuppig-schillernde Nachgeister agieren sie um drei Gestalten, die sich im Schummerlicht ihrer Podeste rekeln. Nackte, verletzliche Wesen, die es gilt, mit Hilfe mobiler Boxen zum Verschwinden zu bringen.
Unerwartetes ist auch das Geheimnis von Po-Cheng Tsais „Floating Flowers“. Garazi Perez Oloriz (Gauthiers zierlichste Interpretin) gibt sich in ihrem Tüllrock am Boden kauernd ganz den Schwüngen ihrer Arme und oberen Körperpartie hin. Auch dann, als die Beine ihres vorerst unsichtbaren Partners (Maurus Gauthier, vormals Mitglied des Hamburger Bundesjugendballetts) sie plötzlich riesengroß machen. Für solche Einfälle, die man sonst selten oder höchstens als Gala-Schmankerl erlebt, steht die Marke Gauthier Dance.
Auch Alejandro Cerrudos drei intime Männersoli „Pacopepepluto“ zu Evergreens von Dean Martin zählen dazu. David Rodriguez, Maurus Gauthier und Rosario Guerra haben ihre Hände darin oft im Schritt – das baldige Rendezvous im Sinn. Ein absolutes Feel-Good-Stück, ebenso wie „Alte Zachen“ von Nadav Zelner für zwei speedseelige Männer in Karoshorts.
Favoriten der Zuschauer waren: „Infinite Sixes“ des Choreografen-Paars Janice Garret & Charles Moulton – ansteckend durch seine Cheerleader-Gruppendynamik und das individuelle Hervortreten Einzelner. Außerdem: Cayetano Sotos „Conrazoncorazon“. Bei ihm, der am Gärtnerplatztheater in München unter Philip Taylor zu choreografieren begonnen hat, traben Tänzerinnen und Tänzer in sexy Jockey-Outfits über den schachbrettartigen Boden. Bewegungsklischees, in stetig neuen Konstellationen auf den Punkt gebracht. Das hat Witz und sieht super aus!
George Podt, der das Haus am Elisabethplatz seit 1990 leitet und Eric Gauthiers gemischt-unterhaltsame Tanzproduktionen neun Jahre lang nach München geholt hat, geht Ende dieser Spielzeit in Ruhestand. Ob seine designierte Nachfolgerin Andrea Gronemeyer die Partnerschaft fortführen wird, bleibt abzuwarten. Eric Gauthier könnte sie – wenn nicht anders – mit durchweg ausverkauften Vorstellungen überzeugen.
Gauthier Dance „Infinity“ am 4. November in der Münchner Schauburg (Theater der Jugend)