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MaulwuerfeSo unterschiedlich Ursachen und Wirkungen sind, die zurzeit unser eurozentristisches Weltbild in Wanken bringen (müssen und sollten), so ansatz-, perspektiven- und formenreich ist der steirische herbst 2016 in seiner Auseinandersetzung mit seinem Thema „Über die Verschiebung kultureller Kartografien“, wie das Leitmotive im Zusatz zu „Wir schaffen das“, lautet. Nicht immer mit gleich großem Erfolg, wie das dicht programmierte Eröffnungswochenende zeigte.

Steirische Herbst-Intendantin Veronica Kaup-Hasler kündigte bei der Pressekonferenz dreieinhalb Wochen Kunstfeuerwerk an und bezeichnete das Festival als besonders brisant, was sie auch bei ihrer engagierten Eröffnungsrede mit recht viel an allerdings nicht ganz unbekannten Gedanken zu gesellschaftlichen Entwicklungen zu bekräftigen suchte.

Gestartet wurde der performative Reigen mit Maulwürfen, mit „Alter Egos des menschlichen Daseins“ (Kaup-Hasler), die gleichzeitig deren verzerrte, zum Großteil aber banal-reale Abbilder sind – also insgesamt sehr zeitgemäß der Hybridität verpflichtet – mit der Auftragsarbeit „Die Nacht der Maulwürfe“ des vielgelobten französischen Regisseurs Philippe Quesne. Den tollpatschig-gemächlichen, in nette Pelzkostüme gesteckten Monster-Tierchen bei ihrem Lebenskreislauf, bei ihren mehr oder weniger sinnlosen, monotonen Alltagsgeschäften zuzusehen, ist eine Zeitlang mit Überraschungen verbunden und manchmal recht amüsant; die eine und andere wortlose Metapher ist auch originell und visuell einfallsreich-witzig gelöst. Scheinbar stimmige Vergleiche aber hinken, weiterführende oder gar philosophische Gedanken, befeuert etwa durch feine Ironie oder gezielten Zynismus - sie fehlen.Holger

Da geht es bei den beiden großen Ausstellungen, „Body Luggage“ (Kunsthaus Graz/space 02) und „Geknetetes Wissen“ (Kunsthaus Graz/space 01) ungleich mehr um erhellende Breiten und faszinierende Tiefen; da erfolgt ein individuelles Entdecken und Erfahren zum Thema der Weitergabe, Veränderung und Durchmischung von Wissen durch Migration über Jahrhunderte, über tausende von Kilometern hinweg; einschließlich der beruhigenden Erkenntnis, dass es Dinge gibt, die nie und niemandem verloren gehen. Da erfährt man um Zusammenhänge und von Gemeinsamkeiten einerseits, da erlebt man ein Kennenlernen und Begreifen von außergewöhnlichen Einzelstücken und Einzelereignissen andererseits. Nicht zuletzt dank einer großzügig arrangierter Aufstellung und guten Informationen unterschiedlicher Art.

Sawangwongse„Yes, but is it performable? Untersuchungen des performativen Paradoxes“: Diese Koproduktion von steirischer herbst und Künstlerhaus/Halle für Kunst&Medien, ist eine Gruppenausstellung, in der sich internationale KünstlerInnen mit der Definition und aktuellen Fragen von „Performance“ auseinandersetzen. Einer Antwort auf die Frage nach der primären Verbindung eines Werkes an den Moment der Präsentation oder doch an den jeweiligen Künstler soll anhand einer jeweiligen Gegenüberstellung von historischen Arbeiten und Live-Aufführung von Zeitgenössischem nähergekommen werden. Das erste von vier derartigen „Experimenten“ erfolgte am 24.September und stellte ein Konzeptblatt Valie Exports „I am Beaten“ (1973) einer Arbeit von Sarah Mendelsohn und Fred Schmidt-Arenales (2016) , „Borders, Bowels“, einer 40minütigen Performance auf 3 Segways und einem Text, gegenüber, der sich um Sehnsucht und Verlust sowie um Ein- und Begrenzung dreht. Verbindungen zwischen diesem und dem Fahren der Segways sind zwar nachvollziehbar, aber auch nicht unbedingt viel mehr als dies; weitere Erkenntnisse mag es im Zusammenhang und nach der letzten Performance am 12. Oktober geben.Gehmacher

Auch bei Philipp Gehmachers „Die Dinge der Welt“ („The title has almost become the work itself“ , O-Ton Gehmacher, 25.9.), einem Auftragswerk des steirischen herbst an den erfolgreichen Wiener Performer, der gefundene, geformte Objekte „auf ihre mögliche ‚Erzählung‘ hin“ untersuchen sollte, könnte sich im Laufe der einzelnen Performances innerhalb von 10 Tagen noch so manches entwickeln („Dieser Prozess erlaube bei jedem Versuch weiter zu gehen, auszuprobieren“ O-Ton Gehmacher), sich dem Zuseher weiter (er-)öffnen. Zwar bleibt bei ihm grundsätzlich das Setting gleich, doch sowohl Bewegung als auch gesprochener Text ( „to find/to take position“ bildet einen roten Faden) sind Improvisationen. Direkte Interaktionen mit den Objekten beschränkten sich am 25. September auf solche mit den Fenstern, die er mit von ihm bemaltem und zerschnittenem Tanzboden verklebt hatte. Als von noch größerer Intensität erwies sich aber sein „wall-dancing“, dieses gegebenen Bedingungen trotzende Eindringen- und Erkunden-Wollens des Objekts. Und wenn er sich selbst zum Objekt macht und darum ebenso hilflos wie kraftvoll ringt, „es“ für und aus sich sprechen zu lassen, dann passiert eine Art Kommunikation, dann entsteht in der vorbehaltlosen Intensität seiner Bewegungen Darstellung von bislang nicht Gesehenem.

SchuldfarbikBislang so nicht Erlebtes und auch kaum Gedachtes ist weiters dem Crossover-Project „Schuldfabrik“ vorbehalten. Einem ziemlich geglückten Zusammenfügen von Individuell-Persönlichem und Allgemein-Gültigem; von überholt Geglaubtem und seiner ein bisserl peinlich-grauslichen, aber letztlich wissenschaftlich-gutmenschlichen respektive politisch korrekten Neuinterpretation: Von Julian Hetzels „installativem Parcours“ ist die Rede, bei dem man in Kleingruppe Stationen zum Thema der allgemeinen und individuellen sowie gerade „modernen“ Schuld durchwandert, sich ein wenig schuldig(er), aber doch auch vorauseilend befreit ob der aufgezeigten Möglichkeiten fühlt. Die eine und andere Nachdenklichkeit wird sich nichtsdestotrotz beim einen und anderen dazugesellen auf dieser politisch-ethischen Gratwanderung.
 
steirischer herbst, Eröffnungswochenende 23. bis 25. September 2016. Weitere Veranstaltungen bis16. Oktober

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