Die eigenwillige Faszination, die künstlerisches Puppentheater insbesondere in seiner offenen Form auf erwachsenes Publikum ausübt, scheint sich immer noch zu vergrößern; und der Vielfalt ihrer Spiel- und Darstellungsweisen scheinen keine Grenzen gesetzt, wie die „Fäden ziehenden“ Künstlerinnen in zwei von insgesamt fünf angebotenen Figurentheater-Programmen in gänzlich unterschiedlicher Weise zeigten.
In beiden Programmen werden im kollektiven Gedächtnis verankerte Persönlichkeiten auf die Bühne geholt; solche, die nicht nur Zeiten sondern auch Welten trennen.
„Salome“ ist eine dieser schillernden Figuren. Und die junge, deutsch-dänische Kompanie „Handmaids Berlin“, ein Animationskollektiv, vollzieht ihre Auseinandersetzung mit diesem vielschichtig rezipierten und unzählige Male künstlerisch be- und durchgearbeiteten Charakter in höchst eigenständiger, kreativ-frecher Herangehensweise. Umsetzbar, weil Astrid Jensen, Sabine Mittelhammer und Ulrike Langenbein unter der Regie von Astrid Griesbach höchst bühnenpräsent in ihren unterschiedlichsten Rollen lust- und humorvoll intelligent agieren. Sie verstehen gleichermaßen ein zusammengeknülltes Papier zum weiblichen Selbstbewussten einer Salome zu erwecken wie sie in deutschen Idiomen zu switchen imstande sind oder mit entzückend doppelbödigen Wortspielen den Einstieg in ihre BühnenWelt erleichtern . Sie beleben Mini-Faltpapier-Puppen zu über Gott philosophierende Arbeiter mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie sie, tobend über das Geschehen, die (Papierberg-)Welt umzuschichten trachten - und aus dem selben Papier den zu opfernden Kopf wutentbrannt kreieren. Sie formen aus ein paar Papierfetzten einen (königlichen) Lustmolch der fiesest unterschwelligen Art und drehen sich in einem Pas de Trois, dem entscheidenden, letzten Tanz. In wogenden (Papier-)Wellen wird diese Gestalt umspült, die unzählige Künstler beschäftigte und dem „einfachen Menschen“ noch heute Symbol für Erotik einerseits und Grausamkeit andererseits, aber eben auch wie hier hochaktuell und greifbar zeitgemäß herausgearbeitet, für die Kraft des Weiblichen, für eine Auflehnung gegen das Patriachat steht.
Sollte eine(r) nicht „einloggen“ können in ihre vergnügt-kritische Sprache, gibt es anfangs eine Art „Gebrauchsanleitung“ in Form eines Schleiertanzes mit verschlossenen Augen: Man nehme sich Schleier um Schleier, wird angeleitet, und gehe damit um. Wenn die beiden „Schülerinnen“ ihre Augen wieder öffnen dürfen, werden sie kategorisch darauf hingewiesen, dass das soeben Erlebte selbstverständlich nichts konkret Sichtbares sei – so was nennt man Theaterpädagogik.
Andy Warhol ist die andere Figur, die begeistert-widerstrebend auf die Bühne gezerrt wird und in ihrer schüchternen Strahlkraft an glitzernder Quantität einer Salome nicht nachsteht, wiewohl in ihrer Qualität bekanntlich aus ganz anderem Holz geschnitzt ist. Und dieser eine atmosphärisch ebenso dichte wie schräge Bühnenform zu geben, verstehen United Puppets aus Deutschland hervorragend: Herzerwärmend seine stereotype Gestik, den Magen zusammenziehend die schale Oberflächlichkeit seiner mit letztlich einfachen Mitteln skizzierten Factory-Welt. Mit Mitteln, die sich aber nicht scheuen, neben traditioneller, feinsinniger Puppenführung auch heutige Technik gezielt einzusetzen. Derart stehen charakteristische Interviews mit ihm und Pop-Größen seiner Zeit, die zwischen kurzatmiger Aussagelosigkeit und eingestreuten Bonmots pendeln, neben einem emotionalen Gespräch mit der Sängerin Nico oder einem absurden Wiedersehen mit Micky Maus. Skizzierte Szenen, die zu Aufmerksamkeit verlocken, und doch, scheinbar beiläufig aneinandergereiht und somit auch formal die getriebene Leere seines Lebens in bemitleidenswerter Weise zeigen, gleichermaßen abstoßen. Ein Unvergleichlicher war er und entsteht hier allemal.
Handmaids Berlin mit “Salome” am 4. August. United Puppets “A No Man Show – An Evening with Andy Warhol” am 30. Juli, beide bei La Strada im Next Liberty Graz