Die Abgrenzung dieses Kunstbereiches ist durchlässig, die Definition besonders offen. Verbindende Komponenten sind u.a. dialogische Ansätze und künstlerische Arbeit, die mit und in einer Gemeinschaft sowie für diese entsteht. Der breiten Fächerung wird La Strada in seinen vier derartigen Angeboten durchaus gerecht, zwei davon, vom aXe Körpertheater und der Gruppe Spielraum, entsprechen ganz besonders den obigen erwähnten Charakteristika.
Die Gruppe aXe arbeitet seit mehr als 10 Jahren an und mit performativen Möglichkeiten, um den unterschiedlichen Befindlichkeiten ihrer Teilnehmer eine Stimme zu geben; zur eigenen Freude, zur Selbstreflexion und, um die vielen anderen Augen und Ohren zu erreichen, die sich – aus Unwissenheit, Unsicherheit oder Scham – im Alltag zumeist reflexartig vor ihnen schließen. Seit zwei Jahren ist der Grazer Stad-Pavillon Lebensmittelpunkt für ein künstlerisches Ensemble von Stadtparkbewohnern; ein Ort, wo sie mit professioneller Hilfe von Schauspielern und Sozialarbeitern ihre Themen in Improvisationsstücken umsetzen und visualisieren: mit weitgehend unverblümter Körpersprache, die durch ihre Unmittelbarkeit gleichermaßen befremdet und irritiert wie berührt.
Im mit La Strada koproduzierten Stück „ich:sucht:leben“ wird erstmals von ihnen auch mit Texten gearbeitet; zum Großteil sind es selbstverfasste, die zum Teil live vorgetragen, zumeist über Lautsprecher eingespielt werden. Und die, gemeinsam mit den kleinen Bewegungs- und Agitationssequenzen der DarstellerInnen, gleichermaßen individuelle wie ihrem Lebensraum, ihrer Lebensart allgemeingültig entsprechende Lebens-Splitter ergeben. Splitter, weil es nur aneinandergereihte, angedeutete und gleichzeitig überzeichnete, fast ausnahmslos als authentisch nachzuvollziehende Einzelstücke des Hoffens, Versuchens, Scheiterns und neuerlichen Versuchens sind. Splitter, weil diese „Fremd-Körper“ sehr wohl in die Haut, unter die Haut dringen, und ja, auch weh tun; und vor allem dort auch noch eine Zeitlang spürbar sind, vielleicht sogar länger anhaltende und wirksame Spuren hinterlassen.
Auch wenn dem Gast-Regisseur Michael Labre bei diesem ungewöhnlichen Projekt das eine und andere ein wenig ins Belanglose abgleitet (die allgemeinen Tanz-Szenen etwa oder die nicht griffige „Auflösung“ der die Unschuld, die Hoffnung, die Zukunft (?) verkörpernden „weiße Frau“), sprechen einige der Bilder und Szenen kraftvoll für sich. Ob es kleine Gesten der großen Aufmerksamkeit sind wie etwa das auf dem „Silber-Tablett“ feierliche Bereitstellen der Malutensilien; oder aber der Einsatz der Musik von Patrick Dunst oder auch grundsätzlich das einfühlsame Achten aufeinander (einschließlich kleiner Pannenhilfen) während der Gesamtheit des Auftritts. All dies geriet zu einer beachtenswerten, kunstbasierten Handreichung gegenüber den zahlreichen, bei derlei Realitäten ansonsten Wegschauenden.
Das weitläufige, zum Teil unverbaute Areal der Reininghausgründe stellt derzeit (noch) einen nahezu unwirklichen Übergangsbereich zwischen Stadt und Land dar und ist damit ein idealer Aufführungsort für „Final Season“: für eine performative Installation, in der Realität und Fiktion in einen Dialog treten, in der sich die Zuseher/Zuhörer nach eigener Wahl auf „belauschbare“ Dialoge, die durch Zeltwände dringen, einlassen müssen. Und letztlich ist ein nach Ende des Stückes angefachtes Lagerfeuer nichts anderes als eine Anregung zu einem weiteren Dialog, innerhalb des Publikums nämlich, um derart eine zusätzliche Ebene des soeben Erlebten zu erkennen: die Subjektivität des individuellen Aufnehmens von Wirklichkeit . Und genau dies ist es, was das Spielraum Ensemble und das Konzept von Lisa Horwath und Klaus Seewald erreichen wollen. Neben weiteren Anregungen wie etwa die der Bündelung von Kompetenzen oder Zusammenarbeit allgemein, was allerdings weniger gelingt als Ersteres. Sehr wohl und eindringlich aber die Bewusstwerdung der unserer Zeit entsprechenden Herausforderung, aus der Überzahl (medialer) Eindrücke und Informationen das im Augenblick oder für die Gegebenheit Wesentliche herauszufiltern. Die Ansprüche vor Ort an das Publikum sind durch die gegebenen Verzweigungen des Plots und die zwei Haupterzählebenen recht hoch gegriffen, um tatsächlich ein, wenn auch noch so individuelles, aber homogenes Ganzes zu imaginieren. Nichtsdestotrotz sind die zahlreichen einzelnen, erlebbaren Aha-Erlebnisse anregend, machen Spaß und lenken in ungewohnte Denkbahnen. Ein sehr heutiger und amüsanter Versuch, im öffentlichen Raum einen unserer Realität nicht ganz unähnlichen, bunt durchmixten Kunstraum zu kreieren.
Die Vielfalt des bei La Strada Erlebbaren wird schon anhand der hier angeführten zwei Beispiele (von 29 möglichen!) deutlich. Beim großen Finale am Samstag, 6. August dürfte ein gebündeltes Ganzes in besonders lustvoller Form über den Freiheitsplatz wirbeln: ein „Transe Express“ aus Frankreich auf der „Reise von der Erde zum Mond“. Da Akrobatik, Poesie und Fantasie sowie surrealistische Geschöpfe aus anderen Dimensionen zu den Mitreisenden zählen, kann man sich auf ein die Grenzen zwischen Himmel und Erde auflösendes Ballett einstellen und … freuen.
La Strada: aXe:körpertheater:graz mit „ich:sucht:leben“ am 1. August und Spielraum Ensemble mit „Final Season“ am 2. August. Das Festival läuft noch bis 6. August und wird mit dem Freiluftspektakel „Mù, cinématique des fluides“ der französischen Gruppe beendet. (Bei einer wetterbedingten Absage wird das Finale auf den 7. August verschoben.)