Dem Mann wird geholfen: Xavier Le Roy erleidet in „Untitled (2014)“ ein Blackout und die Bühne im Akademietheater bleibt, im ersten von drei Teilen, schwarz. Fragend springt das Publikum ein. Bei „Paris“ von Ivo Dimchev, dem charmanten Enfant terrible der Performance-Szene, erzählt dieser von einem hochaktuellen Migrantenschicksal. Im Kasino am Schwarzenbergplatz fließt die Ambivalenz dieser Stadt in Bilder und Lieder, wie nur Dimchev sie zu fassen vermag: Seine zart schmelzende Stimme erklingt – in hochmusikalischem Timing - zu provokat-verstörenden Sequenzen, die allerdings meist mit einem feinen Schuss Ironie garniert sind.
In seinem Solostück „Paris“, das er für seinen seit 20 Jahren in Paris lebenden Landsmann, den bulgarischen Tänzer Christian Bakalov choreografierte, beschäftigt sich Ivo Dimchev mit Isolation und Fremdsein in einer Großstadt. Erst später wurde aus dem Solo ein Duett, in dem sich Dimchev musikalisch und performerisch nun intensiv einbringt. Er entblößt dabei eine noch bis dato nicht entdeckte ernste Seite: Bekannt wurde der Choreograph in Wien vor allem mit seiner unvergleichlichen „Lili Handel“-Reihe, in der er Skulpturen von Franz West bespielte und damit zum Publikumsmagneten avancierte.
Bakalov, der u.a. aus „Orgy of Tolerance“ von Jan Fabre bekannt ist, verkörpert den Fremden in der Metropole Paris, der nicht heimisch werden will. Er ist der Gestrandete, der sich nie ganz angekommen fühlt, der sich seine schwarze Mütze über den Kopf zieht, als könnte sie ihn unsichtbar machen. Der seine dicke Jacke wie einen Panzer zur Abwehr trägt, bis er sie endlich zu öffnen vermag und sie vom Körper fallen lässt. Sicherheitshalber bleibt er mit einem Fuß darin stehen. Er ist der Künstler, der Tänzer, dessen trotzig hingerotzte Ballett-Posen nicht mit gestreckten Händen vollzogen werden, sondern der dabei seine Mittelfinger der Welt entgegenstreckt. Ein Mann, aus dessen Mund Speichel tropft und der auf seinem roten Shirt einen immer grösser werdenden nassen Streifen entstehen lässt. Dimchev begleitet flüsternd, singend und am Keybord spielend durchs Stück. Er verkörpert das „Außen“, die fremden Stadtbewohner, den übermächtigen Choreographen, den erniedrigenden Kunstbetrieb, die Stadt die „Welcome“ sagt, aber „Get out“ meint.
Xavier Le Roys „Untitled (2014)“ erzählt in drei Teilen davon, wie sich aus Fragen, Behauptungen und Interpretationen durch das Publikum eine Bühnenarbeit entwickeln kann. In Teil 1 tritt der Künstler vor die Bühne und versucht mit Hilfe der Zuseher und Zuseherinnen seine verlorene Erinnerung an seine Lecture zu rekonstruieren. Es kommen Anregungen, etwa die Lecture hier und jetzt neu zu entwickeln, oder Fragen danach, was Tanz für ihn sei oder einfach nur provozierende Fragen nach der Farbe seiner Unterwäsche. Teil 2 ist ein Stück, in dem Xavier Le Roy zu Saiteninstrumenten, Schlagzeug und Celesta von Bela Bartok, einen wilden, verstörenden gemeinsamen Tanz mit zwei Marionetten vollführt. Mensch und Dummy sind dabei verhüllt und nicht eindeutig voneinander zu unterscheiden, die aufwühlende Musik stammt vom RIAS Symphonie Orchester Berlin unter dem Dirigat von Ferenc Fricsay. Teil 3 tanzt Xavier Le Roy eine Solo-Choreographie, in der er selbst die Bewegungen der Marionetten reproduziert.
Xavier Le Roy, der ab nun bis 29.7. im Leopold Museum eine Version von„Untitled (2012)“ zeigen wird, beschäftigt sich damit, wie Vorinformationen wie etwa Ankündigungstexte die Erwartungshaltung des Publikums beeinflussen mögen. Indem er im ersten Teil seiner Arbeit die Rolle des Theatermachers verweigert, fordert er das Publikum auf, die entstandene Leerstelle mit seiner Imagination zu füllen und diese bewusst werden zu lassen. Er löst die passive Erwartungshaltung auf und lässt aus dieser Irritation dann seine beiden weiteren Stückteile mit geschärfter Wahrnehmung betrachten, die umso stärker wirken, je rätselhafter sie sind. Und Festivals Liebling Ivo Dimchev überzeugt mit seiner – leider immer aktueller werdenden – Aufarbeitung der Thematik vom gescheiterten Immigrations-Traum in der Metropole der Liebe. Er wird bei ImPulsTanz heuer noch vier weitere Arbeiten zeigen, auf die man gespannt sein darf: Operville, I-Cure, Songs from my shows und eine Concert-Improvisation & Book Presentation.
ImPulsTanz 2016: Xavier Le Roy „Untitled (2014)“, 21.7.2016 im Akademietheater, weitere Vorstellungen der Museumsversion am 25.7., 27.7. und 29.7. www.impulstanz.at
Ivo Dimchev „Paris“, 21.7.2016 im Kasino am Schwarzenbergplatz