Tanz, Mode und Musik. In Hamburg wurden die 42. Ballett-Tage mit John Neumeiers Choreographie „Turangalila“ zur gleichnamigen Sinfonie des französischen Komponisten Olivier Messiaen eröffnet. Ein Rausch in Rot. Elegant bis ins Detail, glatt und schön, aber auch voller Brüche und Spannungen. Die Energie der Musik ist entscheidender Anlass und Ausgangspunkt des Balletts. Kent Nagano spornt die auf der Bühne platzierten Hamburger Philharmoniker dann auch zu Bestleistungen an.
Bereits seit den 60er Jahren hatte sich John Neumeier um die Aufführungsrechte für Messiaens 1948 fertiggestelltes Werk bemüht. Doch alle Projekte scheiterten letztlich daran, dass Messiaen und später seine Erben eine Bühnenadaption untersagten. Erst durch die Vermittlung Kent Naganos, der seit dieser Spielzeit Musikchef an der Staatsoper und ein Experte für die Musik Messiaens ist, konnte das Vorhaben verwirklicht werden. Temperamentvoll und punktgenau ist das Spiel des Staatsorchesters.
Nicht einmal in seinen legendären Choreographien zu Gustav Mahler hat Neumeier ein derart abstraktes Vokabular entworfen wie in „Turangalila“. Die Klangfarben von Messiaens Komposition, ihre Akkordspreizungen und Strukturformen setzt er in reine Bewegung um. Gefühle, die in der Musik zum Ausdruck gebracht werden, spiegeln sich in Kreisel- und Drehbewegungen, in rasanten Sprüngen, im Durchrütteln von Körpern. Der Rahmen bleibt abstrakt, es gibt keine erzählerische Handlung. Ein emotionales Grundthema allerdings lässt sich formulieren. Es ist die Liebe in all ihren Variationen und Belangen. Es geht um Zusammensein und Trennung, um Glück und Einsamkeit. Manche Figuren und Bewegungselemente erklären sich von selbst, andere geben sich uneindeutig. Jene akrobatische Pyramide zum Beispiel, die einige männliche Tänzer immer wieder bilden und von deren Spitze sich einer stets in die rettende Arme der anderen fallen lässt. Oder auch, wenn sich ein Solopart geradezu ins grotesk Schräge steigert und das flotte Wirbeln merkwürdig gehetzt wirkt.
Dem ersten von zehn Sätzen, aus denen Messiaens Sinfonie besteht, hat Neumeier einen kurzen, stillen Prolog vorangestellt. Vorsichtig, ein Staunen im Gesicht, betritt der Solist Christopher Evans die von Heinrich Tröger mit zwei Ebenen versehene Bühne. So als erkunde er die Umgebung sieht er sich um, probiert Bewegungen, weit ausholende Drehungen, die das ganze Stück prägen werden. Evans nimmt die Rolle eines Beobachters ein, der außerhalb steht und zugleich doch Teil des Geschehens ist. Durch ihn werden die einzelnen Sätze miteinander verknüpft. Seine Figur ist das Bindeglied. Immer wieder schließt Christopher Evans die Augen, so als müsse er sich sammeln, die Aufmerksamkeit steigern, die Wahrnehmung sensibilisieren.
Erst nach diesem leisen, zögernden Beginn setzt die Musik ein. Im „Liebesgesang“ sind es zunächst noch lyrisch-schillernde Töne, später dann verstärken sich Rhythmus und Tempo, ein stetes Fließen entsteht. Die beiden Ersten Solisten Hélène Bouchet und Carsten Jung, die perfekt miteinander korrespondieren, verkörpern die verschiedenen Aspekte einer Liebesbeziehung zwischen Mann und Frau. Spielarten von Anziehung und Ablehnung. Eigentlich seien in diesem zweiten Satz von Messiaens Komposition alle wesentlichen Aspekte der Liebe bereits enthalten, so Neumeier. Sehnsucht, Leidenschaft und Hingabe, aber auch Angst und Nervosität.
Mit einer ganzen Palette von Rottönen findet sich das Thema Liebe auch in Albert Kriemlers Kostümentwürfen wieder. Der Couturier vom Modelabel Akris hat in seiner dritten Zusammenarbeit mit John Neumeier erneut darauf geachtet, dass Schnitte und Stoffe der großen Beweglichkeit beim Tanzen gerecht werden. Seine Hosenröcke für die Männer und Kleider für die Frauen sind aus einem außergewöhnlich fließenden Material. Die Bewegungen der Tänzer werden durch sie geschmeidig betont. Als Zuschauer sieht man geradezu, mit welchem Engagement Kriemler an dieses Projekt herangegangen ist. Und so gibt es nicht nur Bezüge zu seiner Pariser Modekollektion, sondern auch den einen oder anderen Blick auf die Tanzgeschichte. José Limóns langen Männerröcke, Pina Bauschs großartige Abendkleider, wer mag, kann sie hier gekonnt variiert wiederfinden. Schwarz und weiß gibt es, cremiges Beige und vor allem eben dieses viele Rot. Leuchtendes Kaminrot, knalliges Orange, zartes Rosa und sinnliches Lila. Vielleicht gibt es ein paar Kostümwechsel zu viel, doch trotzdem macht er große Freude: dieser wunderschöne Tanz der Farben.
Hamburg Ballett: „Turangalila“, Uraufführung am 3. Juli 2016 im Rahmen der Hamburger Ballett-Tage in der Staatsoper Hamburg. Weitere Aufführungen: 8.Juli; 20., 22., 29. Oktober 2016 sowie 8. Juli 2017. Die Hamburger Ballett-Tage laufen bis zum 17. Juli 2016.