Mit einem zweitägigen Gastspiel gab das Ensemble von Boris Eifman sein Wien-Debut im Burgtheater. (Seine Werke „Anna Karenina“ und „Giselle Rouge“ sind durch das Wiener Staatsballett gut bekannt). Auf dem Programm stand das 2011 uraufgeführte Werk „Rodin“, bei dem die Beziehung des Bildhauers Auguste Rodin zu Camille Claudel im Mittelpunkt steht. Sein „Theater der Gefühlsoffenbarung“ ist ein Theater der großen Gesten und wirkungsvollen Bilder.
Boris Eifman ist so etwas wie ein Bildhauer der Ballettbühne. Dekorativ positioniert er seine Tänzer in dem großartigen Bühnenbild von Zinovy Margolin, das unterschiedliche Ebenen und Arrangements für die Körperskulpturen zulässt. Mit äußerster Konzentration schraubt Rodin die Körperteile seiner Tänzer heraus, formt aus ihnen in Stein erstarrte Figuren. Doch Eifman ging es bei seinem Ballett gar nicht um die Kunst seines Protagonisten, sondern vielmehr um dessen Beziehung zu Frauen, genauer um das leidenschaftliche Verhältnis mit seiner Schülerin, Geliebten und Muse Camille Claudel und die stabilere Bindung zu seiner langjährigen Lebensgefährtin Rose Beuret. Doch die handelnden Personen bleiben karikaturartig verzerrt, erlangen nur in wenigen Momenten eine menschliche Dimension, die berührt; am intensivsten gelingt das Oleg Gabyshev in seinem Solo im zweiten Akt.
Die Frauen hingegen werden nur in Beziehung zu Rodin portraitiert. Daran ändert auch nichts, dass Eifman die Eigenständigkeit der Künstlerin Camille Claudel (Lyubov Andreyeva) thematisiert, sie nimmt dennoch keine individuelle Gestalt an. Rose Beuret (Lilia Lishchuk) bleibt schmerzvoll distanziert und mahnt mit symmetrischen Körperhaltungen den Meister an den häuslichen Tisch, während er sich in einer amour fou mit der wilden Claudel verstrickt.
Dass die Gestalten nicht greifbar werden, mag an der stark überzeichneten Tanzsprache liegen mit ihren extremen Überstreckungen und überdehnten Gliedern; oder an den eingesprungenen Positionen, die an Eiskunstläufer erinnern (für die Eifman seinerzeit choreografiert hat). Das mag aber auch an den revueartigen Szenen, die etwa Claudels zunehmende geistige Verwirrung ins Groteske zerren, liegen. Für seine Musikauswahl (Einspielungen von Tonträgern) hat Eifman sattsam bekannte Melodien von Impressionisten aus Rodins Zeit wie Ravel, Massenet oder Saint-Saëns gewählt und dabei offensichtlich auf den Wiedererkennungseffekt gesetzt. Besonders die Gruppenszenen wirken durchwegs platt und banal, auch wenn sie durch ihre Dynamik zu den Gassenhauern immer die gewünschte Wirkung beim Publikum erreichen.
Und so ist Eifman auch ein großer Manipulator der Ballettbühne. Die Effekte sind kalkuliert, die Bilder von teilweise überwältigender Schönheit. Dank der ausgezeichneten Tänzer des Eifman Ballet funktioniert die Show. Dass man dabei keine neue Perspektive auf die dargestellten Persönlichkeiten gewinnt, ist unter diesem Aspekt wohl nachrangig.
Boris Eifman Ballet St. Petersburg: „Rodin“ am 12. Juni 2016 im Burgtheater Wien.