Queere Identitätssuche trifft schwarzhumoriges analoges Bildertheater. Silvia Calderoni ist DJane und so etwas wie eine Rock-Queen queerer Performancekunst. Die Ausnahme-Performerin schöpft in „MDLSX“ aus ihrer eigenen Biografie und queeren Manifesten. Ebenfalls bei den Wiener Festwochen ist STEREOPTIK mit „Dark Circus“ zu Gast - ein Zirkus der „einmaligen“ Attraktionen, die in liebevoll live-animierte Katastrophen münden.
Geschlecht als fluides Konstrukt
Anlässlich einer zehnjährigen Kooperation von Motus, einer der bekanntesten freien Gruppen Italiens, mit der Performerin Silvia Calderoni entstand „MDLSX“. Die Arbeit schöpft sowohl aus der Künstlerbiografie der Performerin als auch aus Texten zu Geschlechteridentität und Queerness, manche Passagen sind fiktional. Große Teile stammen aus Jeffrey Eugenides Roman „Middlesex“, der vom Heranwachsen eines jungen Mädchens erzählt, dessen geschlechtliche Merkmale uneindeutig sind. Auch Calderonis Körper entzieht sich auf den ersten Blick geschlechtlicher Zuschreibungen. Ihre schlanke, sehnige Figur trägt sowohl feminine als auch maskuline Züge, ihrer Bewegungen sind indifferent, ihre Haare sprüht sie zu einer wilden, blonden Rock-Star-Mähne. „MDLSX“ arbeitet mit einer von der Performerin an ihren Entwicklungs- und Lebensstationen orientierten Trackliste, coolen Laser- und Licht-Effekten, alten Filmen aus ihrer Kindheit und Jugend und einer Kamera. Das Publikum blickt Silvia Calderoni meist von hinten über die Schulter, ihr Spiegelbild wird über eine Projektionsfläche auf die Bühne geworfen. Nur in seltenen Augenblicken sieht man ihr Gesicht frontal. Die Entwicklung der Erzählung ist ein wilder Reigen, der auch mit Geschlechterkonnotationen spielt, die über Kleidung vermittelt werden.
Animations-Theater-Kino
Eine abstürzende Seiltänzerin, eine lebende Kanonenkugel, die schreiend das Erdenrund umkreist, ein unzähmbarer, gefräßiger Löwe, der seinem Bändiger den Garaus macht, eine Messerwerferin, die ihren Partner ins Herz trifft. Der Showmaster des „Dark Circus“ lädt ein: „Kommen sie zahlreich und werden sie unglücklich! Verlieren Sie keine Zeit!“. Hinter dem Namen STEREOPTIK verbergen sich die französischen Musiker und Bühnenbildner Romain Bermond und Jean-Baptiste Maillet. Sie erschaffen vor den Augen des Publikums Bilder auf einem Overhead-Projektor - vor allem aus Kohle und schwarz-weißen Schattierungen - die mit Live-Musik einen Zirkus des Scheiterns zelebrieren. Rechts und links von der Projektionsfläche haben die beiden Künstler ihr Instrumentarium aufgebaut. Ein bedeutender Teil der Show ist, wie die Animationen und musikalischen Akzentuierungen direkt vor den Augen des Publikums entstehen.
Sowohl „MDLSX“ als auch „Dark Circus“ sind Arbeiten, die genussvoll mit Elementen der Darstellung spielen. Die langsam, Schritt für Schritt mittels Einzelbildern fiktive „Wirklichkeiten“ vor den Augen des Publikums entstehen lassen und sowohl an der Konstruktion, als auch am faszinierenden künstlerischen Ergebnis teilhaben lassen.
Tipp: Im Programm der Wiener Festwochen sind in dieser Woche u.a. noch Arbeiten der portugiesischen Tänzerin Marlene Monteiro Freitas „de marfim e carne – as estátuas também / aus Elfenbein und Fleisch – auch Statuen leiden“ (ab 7.6.) und Andriy Zholdaks Inszenierung des Romans „Solaris“ von Stanislaw Lem zu sehen (ab 10.6.).
Motus „MDLSX“, Schauspielhaus Wien und STEREOPTIK „Dark Circus“, brut-Wien, Wiener Festwochen 2016, www.festwochen.at