Laurent Chétouane hat sich Kleist vorgenommen, nämlich dessen Erzählung „Über das Marionettentheater“. Der französische Choreograf lässt zwei Tänzer und einen Pianisten in scheinbar freier Assoziation zum Text agieren. Was mit einer Komposition von Charles Ives beginnt, endet mit Bach. Wirken die Tänzer bei der Erforschung des Raums zu Beginn noch unentschlossen, finden sie in den darauffolgenden 90 Minuten nach und nach zueinander.
Die Marionetten, so heißt es in Kleists Text aus dem Jahr 1810, der über Lautsprecher eingespielt wird, sind „antigrav“. Also lässt Laurent Chétouane seine Tänzer mit der Schwerkraft und deren Überwindung spielen. Doch da ist auch der Raum, der bei Kleist keine Erwähnung findet. Wie die Tänzer sich in ihm bewegen, ihn erforschen, ihn einzunehmen versuchen, fällt am meisten auf: drehend und gehend, immer wieder Kontakt mit dem Boden aufnehmend. Mikael Marklund und Gökce Senem Ogultekin wirken verloren auf der leeren Tanzfläche, die sie nur mit einem Klavier teilen.
Die musikalische Dramaturgie löst Harmonien und Sequenzen der Kompositionsstrukturen etwa von Charles Ives oder Anton Webern zunehmend in Einzeltöne auf. In „Phasma“ von Beat Furrer erklingen sie über Tasten und Saiten des Klaviers, mal als mächtige Cluster, dann wieder ganz zart schwingend. Nach dieser größtmöglichen strukturellen Auflösung erklingen die „Variations sérieuses“ von Felix Mendelssohn Bartholdy – tröstlich harmonisch, anmutig. Auch die Tänzer haben da schon zu einem aufeinander abgestimmten Bewegungsmodus gefunden, zu Bachs „Partita“ tanzen sie beinahe ausgelassen durch den Raum.
Doch während der Pianist Mathias Halvorsen hochvirtuos alle Register zieht, bleibt das choreografische Material monoton und repetitiv. Marklund und Ogultekin verlassen im Tanz kaum ihre Comfort Zone, die Kleistschen Ausführungen über die Mechanik der Bewegung wird lediglich wie beiläufig angedeutet. In seiner Inszenierung überlässt Chétouane die dramatische Wirkung ganz der Musik.
Laurent Chétouane: "Considering / Accumulations, 18. Februar 2016 im Tanzquartier Wien