Begeisterter Applaus für die zweite Vorstellung im neuen Aufführungszyklus von „Onegin“, John Crankos legendärem Handlungsballett aus dem Jahr 1965. Ketevan Papava verkörperte als Tatjana glaubwürdig die Wandlung vom schüchternen Blaustrumpf zur reifen, attraktiven Frau, die von Onegin (Vladimir Shishov) erst abgewiesen und dann heiß begehrt wird. Rollendebuts gaben Natascha Mair und Davide Dato als Olga und Lenski.
Ursprünglich für sein Stuttgarter Ballett choreografiert (mit Marcia Haydée und Ray Barra als Tatjana und Onegin), hat John Cranko (1927-1973) das Ballett zwei Jahre nach seiner Entstehung umfassend verändert. Diese bis heute gültige Fassung kam 2006 ins Repertoire des damaligen Balletts der Wiener Staatsoper und Volksoper. Spätestens als Direktor Manuel Legris 2010 seine Amtszeit als Direktor des nunmehrigen Wiener Staatsballetts mit diesem Werk eröffnete, hat „Onegin“ auch Wiener Ballettgeschichte geschrieben. In dieser Saison ist es wieder auf den Spielplan zurückgekehrt.
Die unbeschwerte Beziehung zwischen Olga und Lenski hat Cranko in einem jugendlichen Pas de deux choreografisch grandios umgesetzt. Die beiden Debutanten Natascha Mair und Davide Dato tanzen es so leicht und so zart – ganz so, wie die romantische Verbindung des Dichters mit seiner Verlobten sein soll. Dieser Idealvorstellung der Liebe steht das komplexe Verhältnis zwischen Onegin und Tatjana gegenüber, das der Choreograf mit sehr akrobatischen Pas de deux in Szene setzt.
Davon gibt es zwei: Im ersten Akt, wenn sich Tatjana Onegin als ihren Liebhaber herbeiträumt und im dritten Akt, wenn sie seinem Liebeswerben widersteht und ihn von sich weist. Vladimir Shishov überzeugt als blasierter Stadtschnösel, gelangweilt von der Geburtstagsfeier auf dem Land. Auch die provokante Tändelei mit Olga wird zum Ausdruck seiner Verachtung. Den leidenschaftlichen Lover nimmt man ihm aber nur bedingt ab. Ja, er ist ein verlässlicher Tanzpartner und die schwierigen Hebefiguren nehmen seine Aufmerksamkeit ganz in Anspruch. Papavas hochdramatische Interpretation findet bei ihm jedoch keinen Widerhall.
Das ist symptomatisch für die Tücken dieses Balletts. Cranko wollte die Handlung allein durch den Tanz erzählen, auch die zwiespältige Beziehung der beiden Hauptfiguren und zwar durch komplizierte Verschlingungen, Hebefiguren und Abschwünge. Letztendlich aber konnte er auf pantomimische Gestik nicht ganz verzichten, etwa, wenn Tatjana, nun Fürstin Gremin, Onegin am Ende mit ausgestrecktem Arm keinen Widerspruch duldend die Tür weist.
Auch zwischendurch gibt es Momente, die tänzerisch unlogisch erscheinen. Etwa wenn die beiden Frauen wie Klageweiber ihre Körper vor- und zurückwiegen, nachdem der Hitzkopf Lenski Onegin wütend zum Duelle gefordert hatte; oder wenn sie an den Ort der Konfrontation kommen und zeternd und zerrend die Kontrahenten umzustimmen versuchen. Da tut sich verständlicherweise eine junge Tänzerin wie Natascha Mair schwer, diese – mit Verlaub – altmodischen Gestus nachzuempfinden. Trotz kritischer Einwendungen hat Cranko bei seiner Komplettüberarbeitung diese Stellen nicht verändert.
Und so triumphierte auch an diesem Abend die harmonische Liebe, einerseits im eingangs erwähnten Pas de deux von Olga und Lenki, andererseits in dem berührenden Tanz von Tantjana mit Fürst Gremin, in der die strahlende Ketevan Papava an der Seite von Kirill Kourlaev ganz in der Rolle der liebenden Gattin aufgehen konnte.
In gewohnt guter Form präsentierte sich das Ensemble des Wiener Staatsballetts, insbesondere die Herren bei einem schwungvollen Gopak. Das Wiener Staatsopernorchester schwelgte unter der Leitung von James Tuggle in Tschaikowskis schwermütigen Melodienreigen (arrangiert und orchestriert von Heinz Stolze).
Wiener Staatsballett „Onegin“ am 8. Februar, Wiener Staatsoper. Weitere Vorstellungen (in wechselnden Besetzungen): 11., 27. Februar, 2. und 5. März 2016