Als Mercutio stahl Theophilus Veselý in der Ballszene Romeo im vergangenen Jahr glatt die Schau. Sein zierlicher Körper: strahlend von technischer Versiertheit und Dynamik. Keck und unverfroren charmant wusste er zudem die darstellerischen Facetten seiner Figur bestens im Rampenlicht zu präsentieren. Young-Soon Hues überzeugende Adaption der ergreifenden Liebestragödie (Musik: Prokofjew) steht ab 20. Dezember wieder auf dem Augsburger Ballett-Programm. Nunmehr Seite an Seite mit Stephen Mills prägnantem Tanzdrama um den von Schuldgefühlen gebeutelten Prinzen Hamlet.
Im Jahr 2000 für Mills eigene Kompanie, das Austin Ballet, kreiert, erlebte das von vielen US-Kompanien über- und begeistert aufgenommene Stück am 31. Oktober seine europäische Premiere. Mit Theophilus Veselý in einer Titelpartie – erstmals seit er 2012 von der John Cranko Schule ins Augsburger Ballett übernommen wurde. Die Rolle ist, themenbedingt, emotionsgeladen. Was schon die Farben von Veselýs Outfits – erst schwarz, später leuchtend rot – symbolisieren. Ein Coup, nachdem Schwarz (Ensemble), Blau (Himmel) und Weiß (Ophelias von der Decke hängende Grabbahre) zu Beginn des zweiten Akts quasi zu einem der Höhepunkte hinleiten: Hamlets introspektivem Solo, während die Gegenspieler an ihm vorüberziehen.
Dass der Erfolg ein durchschlagender würde, war zu erwarten. Nicht aber eine Choreografie, die dem Protagonisten lediglich eineinhalb Stunden Spielzeit zur Ausgestaltung der vielen charakterlichen Schattierungen dieser Rolle zugesteht. Doch Mills schlug die Chance in den Wind, sein Ballett mit Robert Conns höchst motiviertem Ensemble wenigstens in einigen arg gestrafften Kernmomenten zu überarbeiten. Womit gleich vorweggenommen sei: Allzu gerne hätte man dem jungen, konditionsstarken Hauptinterpreten – und nicht nur ihm! – angesichts seiner Möglichkeiten mehr Tanzzeit und eigens neu erdachtes Bewegungsvokabular gewünscht. Denn der Stoff birgt eine beträchtliche Menge an Herausforderungen, an denen sich die Künstler messen können…
Shakespeares wortgewaltiges Drama in Bewegung umzusetzen, haben Choreografen schon verschiedentlich versucht. Anders als beispielsweise Kevin O’Day 2008 für das Stuttgarter Ballett, entschied sich Mills, auf das Gros der Nebenfiguren zu verzichten. Sein Fokus konzentriert sich auf das zentrale Personensextett, das Erich Prayer in bester Ballettmimen-Manier als blutverschmierter Geist von Hamlets Vater komplettiert. Eveline Drummen (Gertrude) überzeugt im Zerrspiegel einer Mutter und Geliebten mit pointierten Verhaltensschwankungen. Und Ana Dordevic verleiht unter strenger Führung von Polonius (Armin Frauenschuh) der anfangs so beschwingten, später in Wahnsinn wie im Wasser ertrinkenden Orphelia besonders einfühlsam Gestalt. Wie Hamlet begleiten auch ihr seelisches (Ab-)Driften drei Erscheinungen/Visionen.
Dramaturgisch stringent und von Darko Petrovic in zeitgenössischem Bühnendekorschick funktional-schlicht gelöst, rollt Mills seine Erzählung um Königsmord und Sohnesrache vom Ende her auf: Hamlet, durch Claudius’ (Joel Di Stefano) Giftintrige beim Duell mit Laertes (Kompanie-Neuzugang Tamás Darai: eine Entdeckung!) tödlich verwundet, lässt Ursache und Folgen seines Handelns Revue passieren. Musikalisch zunehmend aufgeregter mit Kompositionen von Philip Glass (aus Filmen, dann Concerto No. 1 für Violine und Orchester) unterlegt. Unter der Leitung von Katsiaryna Ihnatseyeva-Cadek erzeugten die Augsburger Philharmoniker einen akustisch nuancierten, in seiner Dynamik wechselhaften Klangboden. So konnten die Tänzer alle Register ziehen. Meist, wie in dieser kompakten Version vorgegeben, mit Tempo 200. Liebe und Trauer, Entrüstung und Mord – alles Notwendige (wozu auch die Schausteller-Szene gehört) passiert. Nur eben: Schlag auf Schlag!
Ballett Augsburg: „Hamlet“ von Stephen Mills, Premiere am 31. Oktober 2015 im Theater Augsburg. Die nächsten Vorstellungen: 13.,18. Dezember 2015, 6., 21., 23. Januar und 7. Februar 2016