Zum 2.Mal war Anne Teresa De Keersmaeker beim steirischen herbst zu Gast. 2011 eröffnete die herausragende belgische Choreographin mit „Cesena“ das Avantgarde-Festival. 2015 bildet ihre Arbeit „Golden Hours (As you like it)“ als Erstaufführung im deutschsprachigen Raum die große Abschluss-Veranstaltung eines dichten, sehenswerten herbst- Programmreigens mit bis zu dieser Premiere gut 95%iger Auslastung; ein Prozentsatz, der nun noch gestiegen sein dürfte.
Zeigte De Keersmaekers Kompanie „Rosas“ ihr neues Programm doch auch am zweiten Aufführungsabend vor einer randvollen Helmut List Halle; wobei hinzuzufügen ist, dass im Laufe der gut zweistündigen Darbietung der eine und andere Platz sich leerte. Nicht ganz verwunderlich, da ihre introvertierte Auseinandersetzung mit dem Thema Vergänglichkeit dem Zuschauer ein gehörig Maß an Konzentrationsfähigkeit abverlangt – und an Beharrungsvermögen, um in ihre sperrige Bewegungswelt tiefer eintauchen zu können.
Der Ausnahmemusiker Brian Eno und sein Lied „Golden Hours“ ist roter Faden und erste thematische Handreichung. Shakespeares „As you like it“ eine zweite: mit zahlreichen projizierten Textzitaten als Art gedankliche Strukturierung, als mögliche Assoziationskette; jedenfalls kaum als zu fokussierender Plot zu verstehen. Für die Choreographin waren die Werke der beiden Künstler grundsätzliche Inspirationsquellen. Waren Anstöße, um sich immer wieder neu, in kleinen Variationen, aus anderer Perspektive (z.B. eines anderen Tänzers) oder auch in Wiederholung dem Thema Zeit zu nähern, mit ihm in Dialog zu treten; im Solo, zu mehrt oder auch in der ganzen Gruppe – jeder für sich oder auch zu zweit im intimen Miteinander: Zauberhafte, poetische Bewegungen huschen durch den Raum, durch die Zeit. Kurze Szenen von großer sinnlicher Dichte entstehen da, füllen mit ihrer Kraft den riesigen, vollkommen leeren Bühnenraum; ein immer wieder bis zum Schluss sich manifestierendes, überzeugendes Phänomen , diese sensible wie machtvolle Raumergreifung und Gestaltung.
Aber nichtsdestoweniger verliert das, was an qualitativ hochwertiger Tanz-Bewegung zu erleben ist, mit der Zeit an Kraft. Die in den luftleeren Raum gestellten Einzelabstraktionen und die sich im nicht unbedingt nachvollziehbaren Kontrast vollziehenden überdeutlichen Gesten; außerdem irritiert die sich im Laufe der Aufführung häufende Theatralik ebenso wie auftauchendes Pathos.
Die dialogischen Bewegungssequenzen einzelner – mit sich selbst, mit dem Thema: Sie faszinieren und laden zum Einsteigen ein. Allein, dieses Andocken an einen oder auch an mehrere gelingt nur marginal; die Kurzlebigkeit und Verschlossenheit des im Kleinen in großer Buntheit sich vollziehenden Geschehens, verwehrt weitgehend einen befriedigenden Zugang und lässt den Rezipienten verstärkt als hilflosen Zuseher draußen stehen. Die Notwendigkeit und damit Aufforderung, sich auf Bewegung als solche – über weite Passagen wird auf musikalische Begleitung verzichtet - zu konzentrieren, ihren akustischen Spuren zu lauschen ist schätzenswert. Doch in deren Minimalismus und Wiederholung oder im Laufen … läuft er sich tot, der Tanz um die Zeit.
Anne Teresa de Keersmaeker | Rosas: „Golden Hours (As You Like It)“ am 17. Oktober 2015 beim steirischen herbst (Helmut List Halle)