Schrill, vulgär und pornografisch. In ihrem „Schönheitsabend“ in drei Akten, einer Annäherung an den Exotismus des frühen 20. Jahrhunderts, greifen Florentina Holzinger und Vincent Riebeek tief in die Kitschkiste mit glitzernden Kostümen, schrulligen Perücken und einem opulenten Gemälde als Bühnenbild (Joeri Woudstra). In ihren „Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase“ transferieren sie die sexuellen Anspielungen der damaligen Zeit in explizite Handlungen und vermischen die historischen Vorbilder mit ihrer (Bühnen-)Realität.
Als „das provokanteste Paar der gegenwärtigen Performance-Szene“ angekündigt, werden Holzinger und Riebeek ihrem Ruf auch an diesem Abend gerecht. Da darf der Dildo nicht fehlen. Sie hat ihn um ihre Hüften geschnallt und penetriert ihn. Das erotische Liebesduett zwischen Shéhérazade und dem goldenen Sklaven - 1910 von Vaslav Nijinsky und Ida Rubenstein getanzt – wird also zu einem veritablen Sexualakt. Es fordert einiges an Kontrolle, die so hergestellte Verbindung nicht zu verlieren, wenn sich das Paar auf dem Boden wälzt. So bleibt auch nichts übrig von der Eleganz von Fokines Choreografie, die seinerzeit wegen ihrer erotischen Offenheit für einen Skandal sorgte. Bei Holzinger & Riebeek wirkt das Sex-Geturne trotz der subtropischen Hitze eher technisch als sinnlich. Doch „Schönheit“ liegt ja bekanntlich im Auge des Betrachters.
Damit wäre der Höhepunkt des Abends auch gleich zu Anfang abgehakt, denn im zweiten Akt versucht sich Vincent Riebeek als wahnsinniger Vaslav Nijinsky bei seinem letzten öffentlichen Auftritt. Auf einem Stuhl sitzend verdreht er die Augen, mustert das Publikum, bricht in Gelächter aus, spuckt auf den Boden und fängt an zu tanzen. Im Hintergrund sitzt Holzinger und betätigt das mechanische Klavier – Chopin ertönt. Obwohl auch diese „Tänze des Grauens“ an ein historisches Ereignis angelehnt sind, bleibt Riebeek Riebeek, Nijinsky fungiert lediglich als Referenz.
Dass es sich um die Geschichte von Holzinger und Riebeek handelt, wird im dritten Akt, den „Tänzen der Ekstase“, klar. Dabei outet Holzinger die sexuell queeren Vorlieben der beiden und verkündet, dass sie trotz scheinbarer Unverträglichkeiten nun seinen Heiratsantrag angenommen habe. (Wie diese Verbindung sexuell dennoch funktionieren kann, haben wir ja schon im ersten Akt mitbekommen.) Er wird als Heiliger Sebastian (an Anlehnung an ein Stück von Anita Berber und Sebastian Droste) an Händen und Füßen gefesselt an das reckartige Gerüst aufgehängt, sie schießt aus einer Armbrust den Pfeil auf ihn ab – doch davor kommt schon das erlösende Blackout.
Mit ihren ungefilterten Performances, in die sie immer wieder menschliche Ausscheidungen und Sexualakte integrieren, haben Florentina Holzinger und Vincent Riebeek in der Performanceszene so etwas wie Starstatus erreicht. Mit ihren naiv anmutenden Schockern bilden sie auch einen Gegenpol zur sperrig-langweiligen Auftritten mancher Kollegen. Dabei spielt es keine Rolle, dass sie die Medien – Tanz, Sprache und Akrobatik – für ihre Umsetzung nur sehr begrenzt beherrschen, dass man es etwa durchaus als Anmaßung sehen könnte, wenn Riebeek sich als Nijinsky gebärt und dabei eher ungelenk über die Bühne hüpft, oder dass die beiden mit den historischen Referenzen so ungeniert umgehen. Doch bei diesem poppigen, queeren Glamour-Trash kommt es darauf nicht an. Die Parallelen zu den Vorbildern von einst, den Bürgerschrecks Anita Berber und Sebastian Droste, sind gegeben. Auch sie heizten ihre Karriere durch Skandale und Anrüchigkeiten an. Der Kalender von Holzinger & Riebeek ist ebenfalls mit Auftritten gut gefüllt.
Florentina Holzinger & Vincent Riebeek: "Schönheitsabend", Premiere am 11. August 2015 im Kasino am Schwarzenbergplatz im Rahmen von ImPulsTanz, letzte Vorstellung am 13. August