Salvatore Sciarrinos meisterliches Musiktheaterstück „Luci mie traditrici / Meine Augen, die Verräter“ hat Achim Freyer für die Wiener Festwochen inszeniert. Seine zauberhafte Bilderwelt zieht das Publikum ebenso in ihren Bann wie Sciarrinos Komposition. Alle drei Vorstellungen im Museumsquartier waren restlos ausverkauft.
Mit einem stummen Vorspiel, das Freyer „Tag aus Nacht ein“ nennt und als Groteske bezeichnet, lässt er sein Ensemble in skurrilen Tableaus in teils aberwitzigen Posen erstarren. In der Nacht zirpen die Grillen, der aufgehende Mond wechselt die Farbe, bei Tag murmelt und flüstert ein unsichtbarer Chor. Einmal liegt ein blutiges Stück Stoff auf dem Tisch – Vorbereitung auf das, was bald geschehen wird. Ein grausamer Doppelmord.
Von Morgen bis Abend. Eine Dame ohne Unterleib (Esther Lee) singt von der Schönheit und ihrer Vergänglichkeit – eine Elegie des Renaissancekomponisten Claude Le Jeune. Es ist Morgen und alles scheint in Ordnung. Das Ehepaar (La Malaspina: Anna Radziejewska; Il Malaspina: Otto Katzameier) spaziert im Garten, schwört sich ewige Liebe. Als die Nacht hereinbricht liegt deine blutige Leiche in ihrem Bett und sie bald massakriert daneben. Der verliebte Diener (Simon Jaunin) hat dem Ehemann verraten, dass seine Frau einen Liebhaber hat (L’Ospite /der Gast: Kai Wessel, der Interpret der Uraufführung). Die Ehre muss wieder hergestellt, die „Liebeshölle“ durch einen Liebestod beendet werden.
Das Drama hat sich tatsächlich ereignet. 1590 ermordet Don Gesualdo, Prinicipe di Venosa seine Gemahlin und deren Geliebten Fabrizio Carafa. Zur Liebesqual gesellt sich die Reue, Gesualdo komponiert unsäglich traurige Madrigale. Schon 1664 wird das blutige Ereignis in „Il tradimento per l'onore“ von Giacinto Andrea Cicognini für die Bühne erzählt. Mehr als 300 Jahre danach nimmt Sciarrino das barocke Drama als Ausgangspunkt seiner Interpretation von der Vergänglichkeit der Liebe.
Achim Freyer vollendet das, seit der Uraufführung 1998 immer wieder neu inszenierte Werk, indem er die Figuren in den Zaubergarten seiner Fantasie stellt.
Auf drei Ebenen spielt sich das Drama von unsäglicher Liebe, eifersüchtigem Verrat und grausamen Doppelmord weniger in Bewegungen, Gesten und Mimik ab, als in den Dialogen. Die untreue Gattin steckt in einer Art eisernen Jungfrau fest, der eifersüchtige Diener, Lauscher hinter der Tür, hängt verkehrt ganz oben, der entflammte Gast zeigt nur den Kopf und il Malaspina (der böse Dorn) hängt an Seilen, gefesselt von seinen Gefühlen.
Distanz der Körper. Niemals berühren sich die Figuren, die wie Marionetten von Ferne bewegt werden, sie können einander nicht einmal sehen und doch entsteht eine nahezu unerträgliche Spannung. Man spürt die brennende Liebe zwischen dem Gast und la Malaspina und die für sie tödliche Verletzung des Gatten. Freyers Inszenierung, eine komplexe Installation aus Licht, Videos und Spiegelungen ist magisch fesselnd, im Einklang mit der Komposition. Die Musik wird sichtbar, auch wenn die Marionetten in einem aus Mauern und Zäunen bestehenden virtuellen Raum hinter einem Gazevorhang agieren, über den Anfangs niedliche Schmetterlinge flattern, später unappetitliche Fliegen und Käfer kriechen. Von Zauberhand gereicht, gleiten die Accessoires herbei, wenn la Malaspina ihre Frisuren und Kleider wechselt, ihren festen Platz auf der schwebenden Wolke kann sie nicht verlassen. Nur in höchster Verzweiflung gelingt es il Malaspina ein paar kleine Schritte zu tun.
Dass das Ganze ein Maskenspiel ist, macht der Dirigent, Emilio Pomàrico als janusköpfiger Spielleiter sicht- und hörbar. Auch die Stille wird mit weichen Armbewegungen kontrolliert. Willig folgen ihm die Mitglieder des Klangforum Wien, die konzentriert und präzise Sciarrinos Klangwelt eintauchen. Auch sie tragen Masken, scheinen aus dem Totenreich zu kommen. Die Töne der virtuosen Duette bleiben in der Luft stehen, in höchster Emotion fallen sie dumpf in den Orchestergraben, es geschieht fast nichts, der Aufruhr spielt sich im Inneren ab. Alles ist Gefühl.
Am Ende verneigen sich auch die stummen, während des Spiels in der Schwärze des Hintergrunds unsichtbaren, Geister des Achim Freyer-Ensembles. Die Magie der Bilder, der Sog der Musik dauert fort.
Salvatore Sciarrino, Emilio Pomàrico, Achim Freyer: Tag aus Nacht ein. Luci mie traditrici / Die tödliche Blume: Groteske / Oper. Uraufführung der Neuinszenierung im Museumsquartier am 16. Mai 2015. Eine Produktion der Wiener Festwochen.