In zwei Vorstellungen von Boris Eifmans Ballett „Giselle Rouge“ tanzte Ketevan Papava die Titelrolle. Ihre Partner waren Vladimir Shishov als Kommissar, Robert Gabdullin als Tanzpartner in Paris sowie Kamil Pavelka als Ballettmeister in Russland. Papava und Shishov eroberten durch intensives Spiel das Publikum im Sturm.
Nach ihrem Debüt in „Giselle Rouge“ (einer Hommage an die russische Startänzerin Olga Spessivtseva) hat Ballettdirektor Manuel Legris die aus Georgien stammende Ballerina Ketevan Papava zur Ersten Solistin ernannt. Der tosende Applaus, den das Publikum auch nach der zweiten Vorstellung in gleicher Besetzung gespendet hat, gibt ihm mehr als Recht. Papava tanzt ihre Rolle als schöne, ehrgeizige Frau, die zu leidenschaftlich lebt, zu sehr nach Perfektion strebt, zu schnell enttäuscht ist. Das Zerbrechen – an dem Zwiespalt zwischen Tradition und Revolution, an enttäuschter Liebe, an Heimweh und der Angst vor dem langen Arm des russischen Geheimdienstes und nicht zuletzt an ihrer eigenen zarten Seele, trivialer gesagt, der labilen Psyche – geht ganz allmählich vor sich. Erst am Ende schreit sie ihr Elend förmlich heraus. Da stehen die Wärter schon bereit, um sie in die Anstalt zu bringen.
Robert Gabdullin ist die Pariser Liebe der Tänzerin, die jedoch ins Leere geht, interessiert sich doch „der Partner“ mehr für Männer. Jakob Feyferlik, anschmiegsam und gelenkig, debütiert als „Freund“ in seinem ersten kleinen Solo. Eindrucksvoll ist auch Vladimir Shishov als „Kommissar“ (eigentlich ein Geheimdienstagent, dessen Vorbild Boris Kaplun ist, der Spessivtseva leidenschaftlich verehrte und ihr dennoch die Visa für ihre zweimalige Flucht aus ihrer Heimat verschafft hat) ist ein dämonischer Agent und Liebhaber. Das Böse ist dem ansehnlichen Mann nicht ins Gesicht geschrieben, er braucht keine Gewalt, es sei denn die der sexuellen Gier, und ist doch bereit zu vernichten. Etwa „den Lehrer“, den Kamil Pavelka etwas verhalten und blass interpretiert.
Boris Eifman hat, wie es für ihn charakteristisch ist, großes Kino choreografiert. Affekt geladene Pas de deux wechseln mit den Massenszenen, die vom Corps de Ballet äußerste Exaktheit verlangen, was vor allem in den „weißen“ Szenen der Damen keineswegs wirklich gelingt.
Einige Kenntnis der Ballettwelt und vielleicht sogar auch der arg zerschnippelten und vor allem auf die ihre Beziehungen zu Männern reduzierte Biografie Olga Spessivtsevas ist vor allem für das Verständnis der immer deutlicher werdenden Wahnvorstellungen der Tänzerin vonnöten. Die vermehrten Anfragen in der Pause nach einem Programmheft, konnten die BilleteurInnen nur mit einem Achselzucken beantworten: „Leider ausverkauft.“
So musste die Musik (bejubelter Dirigent des Orchesters der Volksoper: Andreas Schüller) helfen das Verschwimmen von Realität und Wahn, von erzählter Biografie und Stück im Stück (Ausschnitte aus „Giselle“, jedoch, um die sich vollziehende Bewusstseinstrübung der „Ballerina“ deutlich zu machen, erst in der Schlussszene zur Originalmusik von Adolphe Adam, davor muss Alfred Schnittkes „Gogol-Suite“ mit zwei Sätzen herhalten) zu verstehen und auch zu genießen.
Eifman weiß Effekte zu setzen. Das Vorbild für die „Ballerina“ (Der Choreograf und Regisseur nennt keine Namen, zeigt keine historischen Figuren sondern Typen) gilt als die beste Interpretin der Wahnsinnsszene im ersten Akt des Balletts „Giselle“ und ist auch heute noch Vorbild für jegliche Interpretation.
Wenn die Papava mit irrem Blick im Kreis rast, muss man sich fürchten. Das tut auch Albrecht (Gabdullin) und irrt dennoch durch den Wald aus Spiegeln auf der Suche nach der Betrogenen. Vergeblich. Trostlos und einsam verblasst die Ballerina hinter der gläsernen Wand. Ein Bilderbuchschluss.
Giselle Rouge“, gesehen am 3. Mai 2015, Wiener Staatsballett in der Volksoper.
Letze Vorstellung in dieser Saison (Premierenbesetzung) am 11. Mai 2015. Wiederaufnahme im Februar 2016.