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pickett papavaAllmählich kündigt sich das Saisonende an. Der mehrteilige Ballettabend, „Tanzperspektiven“, mit Choreografien von David Dawson, Helen Pickett, Jean-Christophe Maillot und Patrick de Bana erlebt seine letzten Vorstellungen. Was die TänzerInnen nicht hindert,  frisch wie bei der Premiere im Zeitraffer über die Bühne zu wirbeln. Immer von neuem. Der Preis ist hoch: Erschöpfung und literweise Schweiß.

Markus Lehtinen dirigierte das Eröffnungsstück, „A Million Kisses To My Skin“, eine rasante Choreographie des Briten David Dawson zu Johann Sebastian Bachs Klavierkonzert Nr. 1 d-Moll. Shino Takizwa schlägt die Tasten des Pianos an, als würde sie die Perlen einer Kette zählen. Entsprechend fulminant wird auch das explosive Ballett auf der Bühne abgefeuert. Mit schnell wechselnden Pas de deux und Solos dürfen die federleichten Solistinnen (Olga Esina, Nina Poláková, Liudmila Konovalova, Maria Yakovleva, Kiyoka Hashimoto, Alice Firenze) ihre Spitzen-Kunst zeigen, schwebend und fliegend. Auch die Herren (Vladimir Shishov, Denys Cherevychko, Masayu Kimoto) sind im kräfteraubenden Einsatz.

Als Kontrast zum kühlen Briten, der im blauen Trikot auf der leeren Bühne tanzen lässt, lädt die Amerikanerin Helen Pickett die Dämmerstunde, „Eventide“, mit rosiger Erotik auf. Da muss das Orchester passen, weil Pickett einen Ohrenschmaus aus Kompositionen von Philip Glass, Jan Garbarek und östlicher Musik zusammengestellt hat, der live kaum zu bewältigen wäre. In der magischen Stunde zwischen Tag und Nacht verzaubern die Frauen (Ketevan Papava, frisch gebackene Erste Solistin, Nina Poláková, Kiyoka Hashimoto – richtig beide Damen nach schnellem Kostümwechsel vom keuschen Trikot in die verlockende silbrig und rot leuchtende Hülle schon wieder im Einsatz – und, welche Ausstrahlung: Irina Tsymbal) die sich biegenden und windenden Männer: Robert Gabdullin, Roman Lazik, Eno Peco und Davide Dato, der sich zum ersten Mal kräftig ins verführerische Spiel einmischt, erfolgreich versteht sich.

Den Schlussakt vorwegnehmend, sei wieder Mal bemerkt, dass der Komponist den Choreografen schlägt. „Windspiel“ hat Patrick de Bana zum ersten Satz des Violinkonzerts von Peter Iljitsch Tschaikowski ersonnen. Volkhard Steude, philharmonischer Konzertmeister, spielte virtuos den Soloparat (1. Satz) des einst als unspielbar verurteilten Konzerts. Dementsprechend frenetisch war auch der Applaus, den Steude für sein Debüt mit dem Ballett erhielt. maillot esina lazik

Das kostbarste Stück in dem vierteiligen Schmuckkästchen ist jedoch Jena-Christophe Maillots sauber strukturiertes Ballett „Vers un Pays sage“ aus dem Jahr 1995. Ein Meisterwerk, in dem der Tanz eine Einheit mit der Musik bildet, sie quasi sichtbar macht. Maillot hat „Fearful Symmetries“ von John Adams gewählt um die TänzerInnen über die Bühne, in die Gassen und wieder heraus zu jagen. Selbst die Ruhezeiten, wenn die Solistinnen entspannt hingestreckt liegen dürfen – einen Arm gegen den Himmel gestreckt, der andere flattert immer wieder auf, wie ein verirrter Vogel – sind nur Schein. Äußerste Konzentration und Einsatz sämtlicher Muskeln werden gefordert, wenn Maillot den musikalischen sich wiederholenden Mustern des Komponisten folgt. Ohne Unterbrechung und Pause, in stetigem Fluss sind sie unterwegs: Olga Esina und Roman Lazik, Irina Tsymbal mit Greg Matthews, Ketevan Papava mit Andrey Kaydanovskiy, Prisca Zeisel mit Alexis Forabosco, Franziska Wallner-Hollinek mit András Lukács und last but not at all least, aber ganz neu dabei, Nina Tonoli mit Jakob Feyferlik. Alle zwölf immer wieder und noch einmal vor den Vorhang.

Es gibt schöne Ballette, die man genießt und bald wieder vergißt. Maillots Kreation bleibt haften, auch wenn herrlichen Hebungen, die feinen, klaren Pas de deux so flüchtig schnell vorüber ziehen. Einzig die scheinbar ruhigen Passagen laden zu längerem Genuss ein, doch auch die ephemeren Bilder bleiben im Gedächtnis und eine Geschichte darf man sich auch ausdenken: Jean-Christophe Maillot hat das Ballett seinem Vater, dem Maler Jean Maillot, gewidmet. Am Ende gleitet eine Reproduktion des titelgebenden Bildes im Hintergrund zu Boden, Esina und Lazik durchschreiten es, landen endlich in der Landschaft (Paysage), im weisen Land (Pays sage) und dürfen die Beine hochlagern.

Wie die Verkaufszahlen beweisen: Das Publikum liebt gemischte Abende mit einem vielfältigen Angebot. Auch wenn Maillots Choreografie in der nächsten Saison nicht im Programm ist, Maitre Legris findet sicher wieder eine Möglichkeit die knappe halbe Stunde für dieses, nicht nur für das Monte-Carlo-Ballett, dessen Chef Maillot seit 1993 ist, so wichtige Ballett zu finden. „Ballett-Reprisen“ sind doch immer willkommen. Um der Flüchtigkeit ein Schnippchen zu schlagen.

„Tanzperspektiven. Dawson | Pickett | Maillot | de Bana“, gesehen am 19. April 2015, letzte Vorstellung der Saison mit leicht variierter Besetzung am 21. April 2015 in der Wiener Staatsoper.

 

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