Oleg Soulimenko besuchte die Schamanen im sibirischen Burjatien und teilt seine Erfahrungen mit dem Publikum. Die Performance „Meet the Shaman“, gezeigt im brut / Konzerthaus, ist ein beeindruckendes individuelles Ritual, aufbauend auf Elementen schamanistischer Praktiken.
In aller Ruhe baut der Performer Oleg Soulimenko auf der leeren Bühne seinen Raum auf. Weißes Papier bildet den Boden, vor dem Publikum werden die Requisiten ausgelegt: rote und schwarze Erde, die in feine Streifen geschnittene Schale einer Banane, eine Schüssel mit Wasser, ein Glas Milch, ein Glas Wasser. Alles wird er später gebrauchen. Nur das Punschkrapferl ganz am äußersten Rand bleibt übrig. An der Wand steht der Schamane in bunten Stiefeln, mit Federn als Kopfschmuck. Er bleibt stumm, ist eine Puppe.
Oleg wird ein anderer. Allmählich verwandelt sich Soulimenko in einen anderen. Mit der geschälten Knolle einer roten Rübe malt er geheimnisvolle Zeichen auf den papierenen Boden, grenzt summend und singend seinen Raum ab.. Auch das Gesicht wird bemalt – rot. Die Schalen der Rübe werden gekocht, die Brühe wird der Schamane trinken. Zuerst aber muss sich Soulimenko verwandeln, den Alltag hinter sich lassen. Vorsichtig scheidet er mit dem multifunktionalen Messer aus dem Boden eine Maske , die er mit seinen Schuhbändern umbindet. Oleg Soulimenko ist nicht mehr auf der Bühne, er ist ein anderer. Mit einem Stab öffnet er den abgegrenzten Raum, bezieht das Publikum mit aushlenden Armbewegungen mit ein. Ich schaue nicht mehr zu, bin ein Teil des soulimenkischen Rituals.
Er spricht Gebete, murmelt Beschwörungen, stellt eine Art von Totempfählen auf, entledigt sich schließlich seiner Alltagskleider, vom Himmel regnet es Erdäpfel. Alles passiert bewusst, präzise, ohne Hektik.
Während ein Video (Anna Jermolaewa) von der winterliche Reise nach Sibirien erzählt und dieb13 die Erklärung der Burjatin dezent und rhythmisch untermalt, verschwindet der nackte Schamane im schwarzen Mistsack, führt drinnen eine Art Kampf mit sich selbst auf. Wenn er sich endlich befreit, hat er die Maske ab- und seine Kleidung wieder angelegt. Doch es sind nicht die alten Kleider, die hat er abgelegt, trägt neue Kleider, ist ein anderer geworden und setzt sein Ritual fort, indem er den okkulten Raum verdichtet, einen magischen Kreis bildet. Das Video (ein Wohnzimmer, die Winterlandschaft mit ein paar Pferdchen, einem zutraulicher jungen Hund, ein Menschen, der ihn streichelt) wirkt dreidimensional, verschmilzt mit dem Raum des Schamanen. Die beiden Welten, die reale des Theaters und die erschaffene des Schamanen fließen ineinander. Und ich bin in beiden Welten, sitze auf der Bank im Konzerthauskeller und bin zugleich im eiskalten Burjatien. Gleich springt der kleine Hund auf meine Knie.
Mit vollem Ernst. Soulimenko verzichtet auf jegliche ironische Distanzierung, zeigt sein persönliches Ritual mit Ernsthaftigkeit und Sachkenntnis. Nur einmal erlaubt er dem Publikum aus dem fremden Raum herauszutreten, zwingt es vielmehr, wenn der „Schamane“ und Performer Andreas Hirsch eine erklärende Ansprache hält. Da weiß ich wieder, dass ich Zuschauerin bin. (Und auch wo ich den Rotstift ansetzen würde.)
Doch dann ist das Räucherkraut abgebrannt, der Erdäpfelkreis fertig gelegt, der Mann in der Mitte schüttelt sich in Trance, wirft seinen Schatten in die Winterlandschaft. – Verschwindet in der Dunkelheit. Es dauert eine Weile, bis die Alltagswelt wieder die Oberhand gewinnt, dem Publikum einfällt, dass es einer Performance beigewohnt hat und daher Applaus fällig ist.
Danach, zu Hause: Brotschneiden, Butter darauf streichen, Schnittlauch darüber streuen, zwei Hälften auf dem Teller anrichten – auch das kann zum Ritual werden.
Oleg Soulimenko: „Meet The Shaman“ 15. April 2015, brut / Konzerthaus. Weitere Vorstellungen: 16., 17. April 2015.