Der tägliche Wahnsinn beschäftigt den Tänzer Tobias Draeger schon einige Jahre. Er perfektioniert sein Solo „Daily Madness“ immer mehr und ist doch noch nicht ganz fertig. Im Raum 33, dem von Elio Gervasi zur Verfügung gestellten Probenraum, zeigte Draeger eindrucksvoll, wie er versucht den Wahnsinn zu bekämpfen.
Das Publikum wartet im schwarzen Dunkel bis sich der Körper eines Mannes in wenig attraktiver Unterhose und schwarzen Seidenstrümpfen herausschält. Nur ein Tisch steht auf der sonst leeren Bühne. Auf und unter und mit diesem tanzt Tobias Draeger seinen (unseren?) Wahnsinn. Anfangs mehr hockend als aufrecht stehend, sucht er mit der hell leuchtenden Schreibtischlampe, die er sich als Partnerin gekürt hat, den Raum zu erkunden. Immer wieder zieht er sich in eine Ecke zurück und richtet das Licht gegen das Publikum. Leuchtet ihm in Augen und Hirn und macht es dennoch blind. Der Tänzerkörper verschwindet im Nichts. Später erhebt sich der Mann, tänzelt um den Tisch herum, versucht Notizen auf diesem zu hinterlassen, bohrt sich spitze Bleistifte in die Augen, schreibt und kritzelt, bleibt aber unsichtbar, nur die hektisch arbeitenden Hände sind beleuchtet. Der flammend rote Horror erfasst mich, wenn der Performer die gleißend helle Lampe in den Mund nimmt und als Feuerschlucker eine glühende Fratze zeigt. Nur wenige stille, sanfte Momente umspült von romantischen Klängen lassen Entspannung zu. Draeger ist gnädig, lässt uns nicht allein mit dem Horror, erlöst uns am Ende durch einen goldenen Regen. Genau besehen, ein Schauer von gelben Notizzetteln. Beschrieben sind sie nicht, keine Lösung in Sicht.
Wer der so wild und verbissen kämpfende Mann ist und was er wirklich will, kann nur jede(r) Einzelne für sich selbst entscheiden. Ein paar Vorschläge haben sich mir während der fesselnden Performance aufgedrängt: Ein Mann, eingesperrt im Irrenhaus. Ein Mensch, der seine eigenen Dämonen bekämpft. Ein Neurotiker, der versucht seinen Ordnungswahn zu bekämpfen oder einer, der versucht, seine verrückte Welt in Ordnung zu bringen? Egal, Draeger weiß Effekte zu setzen und die Spannung zu halten, agiert gekonnt mit Licht und Schatten und hat auch seine Partnerin, die Lampe, im Griff. Dass er ein hervorragender Tänzer ist, bestätigen nicht nur die Preise, die er in Wien und München erhalten hat, sondern auch sein Streben nach Perfektion. Deutlich ist das Solo von den Techniken und Ideen des „Nouveau Cirque“ beeinflusst, doch scheint mir genau da der Haken zu liegen. Der Tänzer verblüfft durch Akrobatik, spielt mit den Hell / Dunkel Effekten, weiß durch seine Mimik jede Gefühlsregung eindrucksvoll zu zeigen, verzichtet aber auf eine eigene Bewegungssprache. Tobias Draeger arbeitet an diesem Solo bereits seit 2013, es wird sich weiter verändern.
Tobias Draeger: „Daily Madness“, 10. April 2015, Raum 33.
Wiederholung am 11. April 2015.