Mit sechs TänzerInnen zeigte Eszter Salamon im Tanzquartier den ersten Teil einer geplanten Serie über das Verhältnis von Choreografie und Geschichte. Der Blick auf die vergangenen 100 Jahre zeigt ihr auch Tanzgeschichte als Kriegsgeschichte. Eine düstere, beängstigende Performance, der es letztlich an einer straffenden Dramaturgie fehlt.
1913 bis 2013, hundert Jahre Krieg. Kriege, in denen die westliche Welt involviert war, zogen sich über alle Kontinente. Die ungarische Choreografin Eszter Salamon hat die Kriegsgeschichte mit der Tanzgeschichte verflochten und im Internet nach Tänzen in aller Welt geforscht. Anhand von Videos hat sie mit vier Männern und zwei Frauen – Kireg ist eben Männersache – deine schaurige, geisterhafte Tanzvorstellung einstudiert.
Im Dunkeln singt eine Frau ein trauriges Lied bevor die unheimlichen Gestalten auftauchen, stampfen, keuchen, drehen sich rasend im Kreis, springen, singen, schnauben, keuchen und brummen, stoßen laute Pfiffe aus oder geben sich selbst den Rhythmus indem sie auf die Schenkel und in die Hände klatschen , zitternd bleiben sie tief in der Hocke, erscheinen als Schemen im diffusen Licht. Unheimlich sind dies Gestalten, die anfangs einzeln, später im Sextett plötzlich aus der Finsternis auftauchen, furchterregende Masken statt eines menschlichen Gesichts, schwarzweiße Trikots, die sie als Gerippe erkennen lassen.
Die Toten grüßen uns in einem makabren Ritual.
Die 100 Jahre, auf die Salamon aus ihrer Perspektive blickt, beginnen nicht von ungefähr mit dem Jahr 1913. Im Mai haben Igor Strawinsky, Vaslav Nijinksij mit Sergej Diaghilev im Pariser Théâtre des Champs-Èlysées „Le sacre du printemps“ / „Das Frühlingsopfer“ gefeiert. Auch ein Ritual, auch ein Kampf, auch ein Tod.
Tanzgeschichte als Kriegsgeschichte.
Salamon verwendet keine Musik, arbeitet mit der Stille oder einem irritierenden Sirenenton, aber auch mit den Stimmen der TänzerInnen. Schreie, Röcheln und Jammern oder melancholischer, beruhigendem Chorgesang sind in den Tanz integriert. Den ausgezeichneten, präzisen und energiegeladenen TänzerInnen (Boglárka Börcsök, Ligia Lewis, João Martins, Yvon Nana-Kouala, Luis Rodriguez, Corey Scott-Gilbert) wird einiges an Kraft und Ausdauer abverlangt.
Die von Salamon gefunden „Kriegstänze“ sind nicht alle aggressiv, werden nicht nur vor dem Krieg aufgeführt, um sich selbst Mut und dem Feind Angst zu machen. Manche Rituale sind für danach bestimmt, als Siegesfeier oder, sanft und weich, als Ausdruck tiefer Trauer. Dann aber wieder wird die Kampfatmosphäre mit hart auf den Boden gestoßenen Stöcken erzeugt, Messerklingen blitzen auf, Klagen und Heulen ertönt.
Eine besondere Rolle in dieser beklemmenden Performance spielt das Licht (Sylvie Garot), das immer wieder gänzlich verschwindet, in allen Schattierungen glimmt und die tanzenden Skelette (Kostüme: Vava Dudu) in eine surreale Welt versetzt. Obwohl Salamon das Stück seit der Uraufführung 2014 in Berlin um eine ganze Stunde gekürzt hat, sind auch die verbliebenen 80 Minuten nicht wirklich stringent.
Gegen Ende – wenn durch den berührenden Sologesang, einen Chor, das Aufstellen der Tafeln mit den Zeiten der Kriege und das anschließende Umwerfen in einer Persiflage und noch einmal Tanz mit teilweise abgelegten Masken immer von neuem einen Schlussakt angezeigt wird – zerfällt diese beeindruckende und tänzerisch präzise ausgeführte Performance in einzelne Puzzlestücke, die Spannung lässt nach, die Beklemmung schwindet. Ich wünsche mir die letzten 10 Minuten würden gestrichen, sie bringen weder eine Erkenntnis noch ein neues Element und eigentlich auch keinen richtigen Abschluss. Egal, der Applaus ist nach der Schweigeminute heftig, was die Tänzer und Tänzerinnen noch einmal, diesmal zu fröhlichen, Hüpfern veranlasst.
Eszter Salamon: "Monument 0: Haunted by wars (1913–2013), 27. März 2015, Tanzquartier.