Am Stadttheater Klagenfurt hatte er in der Ära Köpplinger ehrgeizig, wenn auch nicht immer überzeugend Anlauf genommen, in München landete er jetzt unter demselben Chef einen überzeugenden Erfolg: Karl Alfred Schreiner gelang als neuer Ballettdirektor des Gärtnerplatztheaters ein schillerndes „Dornröschen“, das trotz viel buntem Spaß nicht auf Niveau und Ästhetik verzichtet.
Zu Tschaikowskys berühmten, vom Orchester des Hauses unter Marco Comin hinter der Bühne zuweilen wie flotte Unterhaltungsmusik dahinfahrenden Klängen gibt’s so manche Überraschung - oft zum Vorteil, selten zum Nachteil des Gesamtkunstwerks. Erschwerender, jedoch gut bewältigter Umstand ist, dass „Dornröschen“ im Ausweichquartier Reithalle tanzen muss, da das Stammhaus renoviert wird. Bühnenbildnerin Julia Müer lässt die Not vergessen, indem sie Königsschloss und Natur in unterschiedlich große, weiße und grüne Elemente zerlegte, die die Akteure nach Bedarf verschieben. Ein raffinierter, luxuriöser Kompromiss aus Prunk und Discolook sind die Kostüme von Alfred Mayerhofer. An Tutus erinnern allenfalls flauschige Bühnenelemente, nur Dornröschen erscheint ab dem 2.Akt im obligaten rosa Tüll.
Da hat es seine von reichlicher Männerbelagerung und tiefer Dunkelheit geprägte Pubertät schon fast „ausgeschlafen“ und ist reif für den Prinzen. Rita Barao Soares tanzte die Titelrolle zur Premiere mit viel Gestaltungsgefühl , vor allem in den tanztheatralisch geprägten Szenen im ersten Akt, wenn sie im roten Kleid die Widerspenstige mimte und das, was ihr vielleicht an Mädchenhaftigkeit fehlt, durch Temperament wettmachte. Die Alternativbesetzung heißt Sandra Salietti.
Oft verschiebt Schreiner, der mit dieser Produktion auch ein neues Ballettensemble präsentierte, die Gewichtung der Rollen: So können „Carabosse“ (Natalia Palshina alternierend mit Ariella Casu) als gruftig-punkige Außenseiterin aus ihrer ganzen bösen (Feen-)Seele, das glamouröse junge Königspaar (Marc Cloot, Aina Clostermann) aus stolzen Elternherzen tanzen, während man die „Fliederfee“ vergeblich sucht. Sehr hübsch das Aufwachsen der verfluchten Aurora im Schutz der mütterlichen Liebe und Angst - im Zeitraffer dargestellt von immer größeren Kindern. Pfiffig, witzig die Märchenfiguren.
Was teilweise verloren ging, sind die großen, virtuosen, von Tschaikowsky eben dafür entsprechend komponierten Szenen. Ersetzt werden diese teilweise durch witzige und plausible Einfälle, die das Werk recht unverkrampft vom Märchen in eine heutige Familiensaga verwandeln. Die 100 Jahre Dornröschen-Schlaf vergehen entsprechend langsam mit unablässig hin und her huschenden, schwarzen Albtraumgestalten. Die gut trainierten Tänzer verfolgen jeweils eine recht eigenständige Körpersprache. Dass Aurora im finalen Grand Pas de deux, aus dem immerhin ein Baby (!) hervorgeht, nicht auf den (maniriert-verbogenen) Bewegungsfluss des Bräutigams (Davide di Giovanni) eingeht, sondern irgendwie distanziert wirkt, befremdet. Will die ohnehin schon längst Emanzipierte lebenslange Unabhängigkeit verkünden? Ja dann…
Großer Jubel stand am Ende für alle Beteiligten. Ein guter Einstand von Schreiner am Gärtnerplatz, derzeit Reithalle.
Premiere „Dornröschen“, Staatstheater am Gärtnerplatz, 26.1.2013