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newcreationAuch mit dem letzte Teil seiner provokanten Trilogie „New Creation 2012“ (nach „La Pornographie des âmes“ und „Un peu de Tendresse bordel de Merde!“) erzählt der kanadische Choreograf  Dave St-Pierre von dem schmalen Grat, an dem Lust in Leid oder Liebe in Schmerz umschlagen. Archaische Bilder, hohe Emotionalität, Sinnlichkeit und körperliche Dynamik gepaart mit hoher tänzerischer Präzision und einer Prise Humor erzählen vom „Geschöpf Mensch“, das von Leidenschaft durchs Leben gepeitscht wird.

Auf der Bühnemitte befindet sich – angeordnet wie ein Scheiterhaufen – ein bunter Berg von Kleidern,  Handtüchern und ein Sexspielzeug. Es handelt sich um eine lebensgroße Gummipuppe, die, wie man in einer detaillierten Einführung später erfährt, „ Sweet Sandy“ genannt wird. Am rechten und am linken Bühnenrand drücken sich ein Mann und eine Frau unglücklich herum. Plötzlich öffnet sich an der hinteren Bühnenwand ein Vorhang und auf einer Erhöhung liegen malerisch hingestreckt zwei Dutzend an Armen und Beinen gefesselte Amoretten, nackte Liebesgötter und Liebesgöttinnen mit weißen Flügeln - ein dreidimensionales Gemälde. Sie winden sich unter lautem Gezeter und Geschrei aus ihren Fesseln und nehmen sich der zwei Menschlein „helfend“ an. Aus dem Kleiderhaufen zerren sie die passende Abendgarderobe für die junge Frau und den jungen Mann, um die beiden dann – ziemlich brutal - mit ihren Pfeilen zu beschießen. Die jungen Leute sind chancenlos.

„This is how we fall in love“ schreien die Amoretten und werfen sich dabei auf den Boden, dass die Balken krachen. Inzwischen bahnt sich sanft die Liebe zwischen den beiden Auserkorenen an. Diese wird in einem  Duett zelebriert, das beweist: Liebe macht schwerelos und verleiht übernatürlich erscheinende  Fähigkeiten – und blindes Vertrauen. Sie verleiht das, was die Amoretten von Natur aus haben, nämlich „Flügel“. Im Background formieren sich die nackten Liebesgötter zu immer neuen barocken Bildern, beleuchtet wie Skulpturen in einem nächtlichen Park (Lichtdesign: Ludovic D. Schneider). Sie bewegen dabei Tribünenelemente, die erhöht werden zu Podesten oder Tischen. Sie verschieben und arrangieren sie zu immer neuen „Rahmen“ für ihre beweglichen, höchst wandelbaren und archaischen Bilder: hingestreckte, geopferte Frauen und Männer, am Kreuz hängende Körper, die an den vertikal aufgestellten Podesten hinabgleiten. Oder geflügelte Liebesgötter, die am oberen Rand des Podestes sitzen und das Liebesspiel der Menschen zu ihrer Belustigung beobachten. Die Körper der Tänzer und Tänzerinnen werden so zu einem lebendigen, großartigen Bühnenbild, wie es vielseitiger nicht sein könnte.

Doch das Liebes-Glück währt nicht lange, die anfängliche Übereinstimmung der Liebenden, das gegenseitige „blinde“ Auffangen und Halten hat bald sein Ende. Weinen, Klammern und Toben der Liebenden hilft da auch nicht mehr, man wirft einander buchstäblich weg – und sich selbst dazu. Jetzt wird aus Liebe ein Wettkampf, der sportliche Höchstleistungen verlangt, Frauen treten gegen Männer an, ein Laufsteg wird errichtet, auf dem „Fähigkeiten“ präsentiert werden.  Die Liebesgötter versammeln sich in der Arena, um anzufeuern.

Es fließt auch Blut, wenn sich ein Werbender den Körper wund schlägt, weil die Geliebte ihn nicht erhört. Als die Geliebte dann erscheint, erinnert nur noch die Blutlache und der verwüstete Blumenstrauß an ihn. Nun tobt auch sie, bis die Götter mit Besen und Reinigungsmaschine wieder alles in Ordnung bringen. Da brauchen selbst die Liebesgötter und Liebesgöttinnen Therapie, sie setzen sich im Kreis zusammen und würdigen gemeinsam ihre Probleme: Manche leiden unter Aggressionen oder Tourette-Syndrom, einer hat gar das Fliegen verlernt.

Ein gelungener, humorvoller Abend, der der menschlichen „Nacktheit“ gegenüber den Emotionen ein Zeichen setzt. Großer Applaus.

Dave St-Pierre, New Creation 2012, 15. November 2012, Tanzquartier Wien, Halle G Museumsquartier, Noch zu sehen am 17. November 2012, 20.30 Uhr www.tqw.at