Vom System und der Lust auf Neues. Fünf ehemalige TänzerInnen der Wiener Staatsoper und Volksoper kehren auf die Bühne zurück. Zusammen mit der Choreografin Doris Uhlich begeben sie sich auf Spurensuche in ihrer Ballett-Vergangenheit, um daraus eine völlig neue Bewegungssprache zu schöpfen. „Come Back“ versöhnt mit feinem Humor dabei fast beiläufig das klassische Ballett mit dem zeitgenössischen Tanz.
Die Lautsprecherboxen, die sie auf die Bühne schleppen, sind eine schwere Last. Immer wieder wollen sie davonrutschen, aber die fünf TänzerInnen geben so schnell nicht auf. Das liegt in ihrer Natur, schließlich haben sie alle an die dreißig Jahre als klassische TänzerInnen den härtesten künstlerischen Beruf ausgeübt. Geschenkt wurde ihnen schon davor bei der Ausbildung nichts. Also hieven Marialuise Jaska, Susanne Kirnbauer, Percy Kofranek, Renate Loucky und Violetta Springnagel-Storch die schwere Gerätschaft ohne mit der Wimper zu zucken. Erst als sie sie niederstellen und Applaus aus ihnen erschallt, dürfen sie sich darauf ausruhen und mit verträumten Blick die Anerkennung genießen. Doch nur kurz, denn nun geht es Schlag auf Schlag, ein Solo folgt dem anderen. Und die einst so properen TänzerInnen schmeißen sich mit Begeisterung auf neues Terrain – grölen Popsongs, wälzen sich auf dem Boden oder führen Schütteltänze à la primitive Regenbeschwörung auf. Auch wenn diese TänzerInnen von ihrem Beruf völlig vereinnahmt waren und im Kreislauf aus Training, Proben und Aufführungen auch die 1968er Revolution nicht mitbekamen, sind sie nun sehr wohl in der Lage, das Feeling hervorzubringen und sich wie späte Revoluzzer in ganz neue Dimensionen zu wagen.
Dazwischen formieren sie sich immer wieder in der Position der schlafenden Schwanensee-Schwäne und geben ein Bild friedlichster Idylle ab – freilich nicht ganz, denn nach und nach beginnen sie zu schwanken, als ob ein leichter Wind an ihrem Gleichgewicht zerren würde. Da dürfen natürlich auch die vier kleinen Schwäne nicht fehlen, hier wird der pas de quattre allerdings zu dritt und ohne Musik getanzt und die Schwänchen liegen bäuchlings am Boden, während sie exakt Iwanows Originalchoreografie exekutieren – der vierte Schwan schaut dabei aus der Ferne zu und rauft sich die Haare zu einer Punkfrisur.
Auch die Musik, zu der Violetta Springnagel-Storch ihre Variationen tanzt, bleibt für das Publikum unhörbar. Mit Ohrstöpseln klatscht sie die Beine in perfekter 5. Position rhythmisch aneinander und entwickelt eine bodenständige Choreografie, in der Beine, Popo und Hände den Takt angeben.
Was das Publikum hört, sind gelegentliche Songs der Popmusik der späten 60er und 70er Jahre und einen Ausschnitt aus „Spartakus“ bei Renate Louckys berührendem „Flimmertanz“.
Das 70-minütige Stück ist ein kurzweiliges Vergnügen, das zwischen berührenden Momenten und absurden Überhöhungen wechselt, das selbstironische Facetten neben psychologische Einsicht stellt, das den Alltag einer Balletttänzerin, eines Balletttänzers einer von der Pop-Kultur geprägten Jugendkultur gegenüberstellt. Es ist eine Referenz vor dem klassischen Ballett ebenso wie ein Bekenntnis zum zeitgenössischen Tanz, der sein Material immer neu zusammensucht und – im besten Fall wie bei „Come Back“ – neu kodifiziert.
Bereits das Bühnenbild von Alexander Schellow impliziert das Thema: der Tanzboden ist im letzten Bühnendrittel hochgezogen und bildet gleichzeitig den Bühnenprospekt. Darauf aufgemalte Zeichen und Anmerkungen sind bereits verblasst, auch die Schmutzspuren lassen sich vom weißen Kunsttoff offenbar nicht mehr ganz entfernen.
Doris Uhlich durchbricht das geschlossene System des Balletts mit Respekt und einem interessiertem Blick. Die 35-jährige Choregorafin stellt ja so etwas wie eine Antithese zu ihren TänzerInnen (die zwischen 55 und 70 Jahre alt sind) dar: selbstbestimmt geht sie unbeirrt ihren Weg, trotzt mit ihrer Erscheinung – und mittlerweile auch mit ihrem Erfolg – gängigen Vorstellungen darüber, wie eine Tänzerin auszusehen hätte. Doch Uhlich hat etwas anzubieten, was in der Tanzwelt eher selten ist: Sie ist authentisch. Der Ausgangspunkt ihrer Projekte wie „Rising Swan“, „Spitze“, „Uhlich“ oder „Sneak Preview“ ist immer ein aufrichtiges Interesse an einem Thema. Eines davon, das sie nicht los lässt, ist das klassische Ballett. So logisch diese Recherche für eine Tänzerin und Choreografin auch erscheint, es sind nur sehr wenige Zeitgenossen, die sich für die Wurzeln ihrer Sparte interessieren. Viel öfter begegnet man blankem Unverständnis, Verunglimpfung und Spott über ein System, von dam Teilaspekte in unserer Zeit zwar absurd wirken mögen, dessen Formenkanon aber in der menschlichen Kommunikation und in der Kodierung von (Körper-)Zeichen unvergleichlich ist.
Von der Erfahrung ihrer Darsteller profitiert „Come Back“ freilich ungemein, denn diese „alten“ Bühnenprofis, deren Beweglichkeit und Eleganz manch Jüngere blass aussehen lässt, halten die Spannung auf der Bühne mühelos, selbst wenn sie vom Rand aus quasi als Zuschauer das Bühnengeschehen verfolgen. Die Energie, mit der sie ihren Beruf in der Vergangenheit ausübten, ist jedenfalls bis heute ungebrochen. Und so verscheuchen sie wohl auch so manches Vorurteil über das Altern. Chapeau!
Doris Uhlich „Come Back“, Premiere am 5. Oktober 2012 im MUMUTH im Rahmen des Steirischen Herbst. Weitere Vorstellung: 7. Oktober 2012
On Tour: 23. November 2012 in Latitudes Lille Bruxelles / Brüssel, Jänner 2013 im brut Wien, 17. Februar 2013 im Festspielhaus St. Pölten. Weitere Daten und Aktualisierungen auf www.dorisuhlich.at
PS: Als „Zugabe“ und „Bonus“ zur Aufführung gibt es eine Zeitung mit Zitaten der DarstellerInnen, die in der Performance nicht verwendet wurden. Man ahnt, dass der einjährige Arbeitsprozess in viele Richtungen ausschweifte, bevor er zur jetzigen stringenten Form fand.