Das Festival OdeonTanz3 bietet eine interessante Reise durch die stilistische Vielfalt zeitgenössischen Tanzschaffens. Durch die sehr unterschiedlichen, choreografischen Handschriften, die vorgestellt werden, wirkt die Dramaturgie der als „Serien“ titulierten Abende mitunter erratisch.
Das erste der insgesamt vier Programme eröffnete Kuratorin Rose Breuss mit ihrer Choreografie „Orpheus Augenblick“, getanzt von der Cie Off Verticality (Pawel Dudus, Juan Dante Murillo Bobadilla, Andrea Maria Handler und Dorota Leçka). Breuss untersucht in diesem Stück komplizierte Bewegungsstrukturen und durch die Interaktion der Tänzer entstehende Kraftfelder. So kämpfen sie etwa im ersten Teil, („Eurydices Tod“) gegen den Widerstand, der sie auseinanderreißen will, halten aneinander fest, verschlingen sich ineinander, wehren sich gegen die Trennung.
Die daraus resultierenden Konstrukte lassen sich auf der Bedeutungsebene, die mit dem titelgebenden Orpheus-Mythos impliziert wird, nur schwer entschlüsseln. Doch diese wird durch die Ausstattung von Christoph Bochdansky verdeutlicht, der mit Blumenleisten, Schriftprojektionen und vor allem mit seinen (aus einfachen Plastikmaterialen gefertigt) schwebenden Seelen (im zweiten Teil „Im Schatten der Unterwelt“) Poesie auf die Bühne zaubert. Auch die Musik von Clay McMillan ist der Idee des Augenblicks verpflichtet – flüchtige Klang-Miniaturen, die von Johannes Marian am Klavier in den Raum gesetzt werden.
Auch in Boris Nebylas „Crossings“ erschließt sich die Aussage nicht über den Tanz, sondern durch eine Skulptur und eine Live-Kamera. In dem knapp 20-minütigen Stück verwandelt der aus Palästina stammende Bildhauer Osama Zatar mit vollem Körpereinsatz seine ursprüngliche Figur eines bewaffneten Soldaten in einen Musiker mit Gitarre, und verändert den kämpferischen Gestus in einen friedlichen Ausdruck. Thomas Wolf nützt für die Projektionen in Echtzeit perfekt die Architektur des Odeon-Theaters. Auf der Ziegelmauer wird die kahle Bühne durch Vervielfachungen der Aktionen zum Kriegsschauplatz, zum Versammlungsort oder zum Marktplatz. Die Violinistin Gudrun Ebner unterstützt die Dramatik der Bilder mit ihrem Spiel, während der Tänzer (Keisuke Neijime) und die Tänzerinnen (Sandra Zelechowsky und Jasmin Avissar) in dieser Wucht visueller Eindrücke nur teilweise wahrnehmbar werden.
Mit ihren skurrilen Musik-Tanz-Performances sind die Brüder Simon und Peter Mayer ein Genre für sich. In weißen Laboranzügen und mit grünen und orangen Strickmasken auf dem Kopf messen sie wie Figuren in einem Computerspiel hüpfend die Bühne ab, spielen Gitarre, Schlaginstrumente, singen, blödeln oder rasen wie hyperaktive Kinder über die Bühne. Ihre Show „Kopf hoch/Head high“ ist humoristisch, verspielt bis anarchistisch und wirkt, weil die Performer dabei authentisch und sympathisch bleiben.
Das Eröffnungsstück der zweiten Serie des Festivals, „Revolver/Identities“, wurde durch eine internationale Koproduktion realisiert, an der die vier Choreografen Claudi Bombardo Oriel (Barcelona), Karl Schreiner (Wien) sowie Massimo Gerardi und Emanuele Soavi (movingtheatre.de, Köln) mitwirkten. Ein zweiteiliger Titel, vier Köpfe und viele Ideen wollen in „Revolver/Identities“ eine „Gesellschaft kurz vor der Explosion“ thematisieren, der sich eine Eisfront in Form von Styroporplatten nähert, die im Laufe des 45-minütigen Stückes immer wieder anders arrangiert werden. Der Dramaturg (Achim Conrad) fand wohl in diesen Requisiten seinen roten Faden. So wird das Experiment der multiplen Autorenschaft zu einer Styropor-Materialschlacht, in die eine Nummernrevue der Ausgestoßenen, Ver-rückten, Misshandelten und Verdrehten eingebettet ist. Emanuele Soavi dominiert das Geschehen, tanzt eine Frauenfigur mit der Rückenansicht. Mit einer Brille auf dem Hinterhaupt und der entsprechenden Körperhaltung hält er die Illusion aufrecht, während seine (humoristisch gemeinten?) Interventionen als Fakir oder als Identitätssuchender Verwirrung stiften. Von den vielen choreografisch-performativen Versatzstücken kann lediglich ein Duo (eine Folterszene) von Robert Goodby und Mircea Ghinea berühren.
Ein höchst interessantes Experiment war beim Odeontanz3 mit der RikudNetto Dance Group zu sehen. Die Bewegungsminiaturen hat die israelische Choreografin Tirza Sapir in der Eshkol-Wachman Movement Notation festgehalten. Mit der Präzision eines Orchesters führen die Tänzerinnen diese minimalistischen Szenen aus, die vom gleichförmigen Ticken eines Metronoms begleitet werden. Obwohl wenn das Arrangement an eine Schulaufführung erinnern mag, entfalten diese einfachen, auf die Raum-Zeit-Dimension konzentrierten Bewegungsstudien ihre poetische Wirkung durch die unaufgeregte und ruhige Atmosphäre der Ausführung.
Für „Here and/or there“ hat sich Lina Maria Venegas als Talentscout erwiesen. Die TänzerInnen Kafeela Adegbite, Clarice Martins, Temiloluwa Obiyemi, Anderson Pinheiro da Silva, Jefferson Ramos und Andi Oyairo sind entweder hier aufgewachsen oder kürzlich zugewandert und stellen in diesem Stück die Frage nach der kulturellen Identität – mit ihrem Tanz und Worten. Venegas gelingt es die individuell unterschiedlichen Körpersprachen in einem unterhaltsamen und gleichzeitig nachhaltigen Stück über die Frage nach der kulturellen Identität, auf die es keine einfache und eindeutige Antwort gibt, zu vereinen. Ein positive, aber keineswegs naives Statement zum Thema „interkultureller Dialog“.
Bei der dichten Programmation der Abende sind die Pausen zwischen den Stücken (zu) kurz gehalten. Darunter litt Jianan Qu mit seinem Solo Ink, von dem auch ich leider nur mehr (das vielversprechend aussehende) Ende sah.
OdeonTanz3 läuft noch bis 15. Oktober und präsentiert zwei weitere gemischte Programme.
OdeonTanz3: gesehene Aufführungen am 30. September und 4. Oktober 2011