Mit einem dreiteiligen Programm eröffnete das Tanzquartier Wien seine neue Saison, die das zehnjährige Jubiläum der Institution feiert. Wenn, wie Intendant Walter Heun meint, der Eröffnungsabend der neuen Saison exemplarisch für die weitere Arbeit im Tanzquartier sei, dann kann man nur hoffen, dass dem nicht so ist.
Dabei begann der Abend vielversprechend. Die griechische Choreografin Kat Válastur konnte mit ihrer fein gearbeiteten Arbeit „Lang“ zum Thema Zeit überzeugen. Einem Uhrwerk gleich drehen sich die beiden Tänzerinnen (die Choreografin und Laura Lozza) mit pendelnden Bewegungen auf Halbspitze im Kreis, synchron, präzise, gleichmäßig. Dann werden die Anfangs kleine Kugeln beschreibenden Handgesten größer, das Uhrwerk scheint zu stolpern, die Phasen der beiden Tänzerinnen verschieben sich. Doch nur für einen Augenblick. Bald sind sie wieder mit monotoner Regelmäßigkeit miteinander synchronisiert. Immer wieder gibt es während des 45-minütigen Stückes kleine, fast unmerkliche Ausreißer. Und immer wieder wird der Zuseher in den Sog der Bewegungen gefangen, die sich in einer Endlosschleife wiederholen. Die Zeit als eine ewige Aneinanderreihung des immer Gleichen mit Variationen? Oder eine sich immer wiederholende Kreisbewegung, aus der kein Entkommen ist? Kat Válastur und Laura Lozza machen es sich dabei nicht einfach. Nicht nur, dass das Stück seine Wirkung nur erzielen kann, wenn es perfekt getanzt ist, ihre Pendelbewegung entsteht aus einer Körperrotation auf Halbspitze – auf der die beiden Tänzerinnen quasi das ganze Stück hindurch bleiben. Die Präzision ist dadurch noch bemerkenswerter. Die Musik von Antonis Anissegos und Matthias Grübel ist dramaturgisch klug eingesetzt und steigert kontinierlich die Spannung.
Mit der Einladung des marokkanischen Tänzers Taoufiq Izeddiou will das Tanzquartier neben europäischen und US-amerikanischen Protagonisten seine Fühler in bisher unentdeckte Regionen ausstrecken. Das ist gut gemeint und im Sinne des interkulturellen Dialogs politisch korrekt. Ästhetisch-künstlerisch erinnert Izzedious Suche nach der Identität jedoch an verschiedene Tanztheater-Versuche in den frühen 1980er Jahren. Im kurzem Kleidchen, lippenstiftverschmiert, das rote Handtäschchen schwenkend, steckt sich der Tänzer eine Sonnenbrille nach der anderen auf die Nase, richtet wie um Almosen heischend Hände und Blick gen Himmel, indem er auf jeden Pfeifton, auch aus den Reihen des Publikums und sehr zum Gaudium desselben, mit einem Trällern reagiert – das sind die Versatzstücke für eine Geschichte, die vorgeblich die Situation eines zeitgenössischen Tänzers in Marokko illustrieren soll. Vielmehr hätte man sich gewünscht, dass aus der Interaktion mit dem traditionellen Gwana-Musiker Maâlem Amini mehr entsteht als eine einfache Schrittfolge im Gänsemarsch.
Der dritte Teil des Abends bot zwei Wahlmöglichkeiten in einem der beiden TQW-Studios. Ich hatte mich für „Forecasting“ von Giuseppe Chico und Barbara Matijevic entschieden. In einer fiktiven wissenschaftlichen Versuchsanordnung zur Frage nach der Zukunft erläutert Matijevic die auf einem Computer erscheinenden YouTube-Videos, deren Bilder sie in ihrem Körper fortsetzt. Nach dem dritten Spot war die Übung klar, und bis zum Ende war Geduld gefragt, um auch noch die unvermeidlichen Videos mit Waffen-Demos, der sprechenden Vagina und – natürlich – dem Wühlen in blutigen Eingeweiden durchzusitzen. Abgesehen davon funktionierten die gewünschten optischen Effekte vielfach nicht, da im dreidimensionalen Raum die genaue Ausrichtungen eben nur aus einer bestimmten Perspektive stimmt, und das Video- und Realbild oft nicht synchron waren.
Bleibt also zu hoffen, dass dieser Auftakt nicht der qualitative Maßstab war, den man von einem Tanzhaus erwarten sollte und – gerade unter Heuns Leitung – auch immer wieder gefunden hat.
Spielzeit-Eröffnung der Saison 2011/12 im Tanzquartier Wien am 1. Oktober 2011