Es ist ein besonderer Glücksfall, wenn eine Choreografie ihre Tänzer*innen findet. Genau das ist dem „Frühlingsopfer“ von Pina Bausch passiert, als es auf die 38 Tänzer*innen aus 14 afrikanischen Staaten traf. Strawinskis rhythmische Musik hat in ihren Körper ein außergewöhnliches Echo gefunden und eine viszerale Energie ausgelöst.
Den langjährigen Mitgliedern des Tanztheater Wuppertal ist Pina Bauschs Werk eingebrannt. So stand das Team, das für die Einstudierung verantwortlich war, wohl erst einmal vor dem Rätsel, wie man diese Tänzer*innen mit ihren unterschiedlichen Backgrounds, von afrikanischer Folklore bis Hip Hop in einer gemeinsamen Tanzsprache vereint. Monatelang wurde intensivst gearbeitet – dann, kurz vor der Premiere, stoppte Corona alles. Doch als sie im Sommer wieder zusammenkamen, hatte sich das Bausch-Idiom auch schon in ihnen festgesetzt und das künstlerische Ergebnis, das am 23. September in Madrid seine Premiere feierte, ist mehr als bemerkenswert.
Unter der künstlerischen Leitung von Josephine Ann Endicott, Jorge Puerta Armenta und Clémentine Deluy entstand eine Fusion aus westlichem Bühnentanz und dem originären Bewegungsmodus der Interpret*innen, die diesen Namen verdient. Die Choreografie ist präzise einstudiert, gleichzeitig wurde den Tänzer*innen nichts von ihrer Ausdruckskraft und ihrer Mimik genommen. Die Emotionen des Ritus, einer Opferhandlung, einer Verfolgungsjagd vermitteln sich quasi ungefiltert in den Zuschauerraum, erreichen das Publikum direkt. Khadija Cisse, die die Rolle der Auserwählten tanzt, bleibt hier wohl unvergesslich.
Die Produktion der Pina Bausch Foundation mit der École des Sables in Dakar und Sadler’s Wells, London, an der unter anderen auch das Festspielhaus St. Pölten beteiligt war, ist ein wegweisendes Beispiel für die Repertoirepflege des einzigartigen Werkes von Pina Bausch. Und es zeigt auch seine universelle Gültigkeit. Die Originalchoreografie aus dem Jahre 1975 bleibt unverändert erhalten, und schmiegt sich dennoch wie maßgeschneidert an die Körper der afrikanischen Interpret*innen.
Eine gänzlich andere Stimmung und Qualität verbreitete der erste Teil des Abends: ein Duett der Grande Dame des afrikanischen Tanzes und Direktorin der École des Sables, Germain Acogny (77), und der langjährigen Tänzerin des Tanztheater Wuppertal, Malou Airaudo (72). „common ground[s]“ ist eine Annäherung der beiden Frauen, ein Austausch von Erinnerungen und Erfahrungen, eine ruhige Tanzmeditation voller Geheimnisse.
„Das Frühlingsopfer / common ground[s]“ am 9. Oktober im Festspielhaus St. Pölten