Die Tänzerin, Choreographin und Regisseurin Jing Hong Okorn-Kuo aus Singapur, international erfahren und bewährt im Umgang mit anerkannten Profis, trug sich schon seit langem mit dem Gedanken, mit älteren Menschen zu arbeiten: Ausgehend von der Frage, welche Spuren das Leben in ihnen hinterlassen habe und ob und wie diese Spuren durch künstlerische Mittel sichtbar zu machen seien, inszenierte sie im Grazer Forum Stadtpark – laut Untertitel – „eine performative Forschungsreise mit Menschen ab 60“.
Das Projekt im Grazer Forum Stadtpark war für alle ein Wagnis: für die bühnenunerfahrenen Laiendarsteller genauso wie für die regieführende Choreografin; aber auch für Vera Hagemann, die als Zuständige für den Aufgabenbereich Performance und Theater im Haus die Produktion zu verantworten hatte.
Zweierlei Arten der „Vorbereitung“ offerierte sie ihren vier Akteuren bzw. regte Hong Okorn-Kuo an: Basisübungen aus dem Yoga und aus Tai-Chi bildeten den jeweiligen formalen Einstieg in eine Probeneinheit, kleine performative Szenen, die jeder einzelne „mitzubringen“ aufgefordert worden war, stellten das inhaltliche Rohmaterial dar. Aus diesen Einzelteilen bauten sie gemeinsam eine fast einstündige, homogene szenische Collage, die gleichermaßen mit Ankerpunkten in einem kollektiv verankerten Gedächtnis versehen war, wie Freiheit zu individuellen Assoziationen bot.
Die (hart) erarbeitete Reduktion der Ausdrucksmittel, ihr Herunterbrechen auf das Einfach-Wesentliche in jeder Einzelszene – ob klar konkret interpretierbar oder auch abstrakt vieldeutig – entpuppt sich im Laufe der Performance als konsequent durchgehaltenes Qualitätskriterium. Einerseits, weil derart nicht nur jedes Detail mit Konzentration und Bedacht ausgeführt wird, sondern weil andererseits dadurch ihre Präsentation auch über Überzeugungskraft verfügt: Ob es sich dabei um das An- und Ausziehen von Schuhen handelt, um das Aufzählen von Wörtern rund um das Thema Zeit, um das Niederlegen und einfache Entfalten einer Decke oder um das Schaukeln auf einem Sessel: Wer war sich bislang schon der metaphorischen Vielseitigkeit dieser Alltags-Gesten bewusst? Und: So manches Mal ist die ‚Notwendigkeit‘ der kleinen Handlungen im schmucklos schwarz abgehängten kleinen Bühnenraum genauso spürbar wie die eines Profis auf der großen Bühne.
Auch wenn der Spannungsbogen einmal straff und einmal weniger straff ist: Durchhänger gibt es nicht und der Rhythmus im Ablauf behält seine Zugkraft. Gerade weil er ein langsamer, zum Teil ein bedächtiger ist, zwingt er die Aufmerksamkeit der Zuseher auf seine Seite; durch die Langsamkeit verführt die leise, die altbekannte, aber auch wohldurchdachte Bewegung nicht zum gedankenlosen „Mitschunkeln“, sondern zum konzentrierten Hinschauen und Hineinfühlen, um (etwas) zu erkennen.
Und so führt insgesamt der Mut der Darsteller, ihre ästhetischen Ansprüche grundsätzlich zu vergessen, einerseits zu einem Abnehmen ihrer Masken und damit zu einem Zulassen von auch Hässlichem, andererseits zu einer Form der angedeuteten Entblößung, die in ihrer natürlichen Leichtigkeit und Feinheit vor allem die dahinterstehende Offenheit und Ehrlichkeit eindrücklich über die Rampe kommen lässt. Ein künstlerisches Projekt, das würdig ist, be- und gemerkt zu werden.
Jing Hong Okorn-Kuo „Merk-Würdig Gewöhnlich / Der Tag bevor ich geboren bin“ am 22.März 2018 im Forum Stadtpark