Mit der Uraufführung von „Marie Antoinette“ feierte das Wiener Staatsballett einen weiteren Erfolg. Olga Esina und Kirill Kourlaev überboten die insgesamt ausgezeichnete Leistung des Ensembles. Mit dem spanischen Komponisten Luis Miguel Cobo und der französischen Kostümbildnerin Agnes Letestu hat Choreograf Patrick de Bana eine gute Wahl getroffen.
In zwei Akten vom Leben und Sterben einer Königin zu erzählen, ist nicht ganz einfach. Die dramaturgische Vorlage für das von Patrick de Bana choreografierte Ballett „Marie Antoinette“ sieht deshalb auch Anderes vor: Eine Art Stationendrama mit Blitzlichtern auf bestimmte Situationen im Leben der Tochter Kaiserin Maria Theresias, die gezwungen war, den französischen König Louis XVI zu heiraten und mit ihm gemeinsam unter dem Schafott zu sterben. Von einer Handlung kann keine Rede sein und das ist auch nicht notwendig. Nicht nur in Österreich sollte man den Lebensweg von Marie Antoinette aus dem Geschichtsbuch kennen. Also geht es in den beiden Akten eher um den Seelenzustand, die innere Verfassung der jungen Königin. Um diese Absicht klar zu machen, wird sie von zwei Geistwesen begleitet, ihrem Schatten und dem Schicksal.
Kirill Kourlaev ist dieses unabwendbare Schicksal. Düster, bedrohlich, unbestechlich, tanzt er mit spastischen Bewegungen mitten in der höfischen Gesellschaft. Mitunter schleppt er die Damen und Herren wie Puppen durch die Räume und stellt sie mitleidlos wieder ab. Seine Partnerin ist Elisabeth Golibina als weißer Schatten der Marie Antoinette. Sie symbolisiert das Ausgeliefertsein der Königin, die durch Erziehung und Gesellschaft geprägt und eingeengt ist. Diese arme Königin, die mit 14 Jahren ins feindliche Ausland verbannt wurde, um einen 15jährigen Kronprinzen zu heiraten, tanzt Olga Esina mit hinreißendem Charme und würdevoller Verzweiflung. Es scheint als hätte diese bisher schon technisch perfekte Tänzerin endlich ihren emotionalen Kokon abgeworfen und gelernt eine Rolle auch eindrucksvoll zu gestalten.
Nachdem Schicksal und Schatten als Ouvertüre den Tenor festgelegt haben, beginnt das Spiel am Wiener Hof, wo man sich unter Maria Theresia (ganz in Schwarz, aber fröhlich tanzend, Dagmar Kronberger) bereits dem verspielten Rokoko hingegeben hat. Die zierlichen Schrittchen und akkuraten Menuette sind in de Banas Vokabelheft nicht unter die Favoriten gereiht. Deshalb erlaubt er sich auch, das Getändel und Getänzel aufs Köstlichste zu ironisieren. Mit von der Partie ist auch schon in Wien der fröhlich-kindlichen Esina Partner, Roman Lazik als Ludwig XVI. Seine Schwester, Madame Elisabeth, die einzige Freundin der Marie Antoinette, wird von Ketevan Papava (liebreizend anfangs, mütterlich besorgt im 2. Akt) getanzt. Beste Figur macht auch Kamil Pavelka (seit 1999 Mitglied des Corps de ballet) als Axel von Fersen, dem Liebhaber der Königin und Organisator der (missglückten) Flucht.
De Bana verwendet für die Bälle und Gesellschaften an den beiden Höfen Musik der Zeit, Schatten und Schicksal jedoch bekamen einen eigens komponierte Klangraum von Luis Miguel Cobo. Der steht in hartem Kontrast zu Vivaldi, Telemann, Mozart und bietet kühle Erholung von den überzuckerten Barockklängen. Dass die gesamte musikalische Begleitung vom Band kommen muss, erklärt die kleinteilige Mischung.
Die prächtigen Kostüme aus glitzerbunten leichten Stoffen hat Agnès Letestu entworfen. Sie weiß, was TänzerInnen brauchen, um sich frei bewegen zu können und dennoch dem Publikum Schauvergnügen zu bieten, ist sie doch selbst Tänzerin, Étoile am Balletthimmel der Pariser Oper. Mit de Bana hat sie im Vorjahr in der Pariser Oper den von ihm choreografierten Pas de deux „Marie Antoinette“ getanzt. Diese 15 Minuten waren für Ballettdirektor Manuel Legris Anlass seinen Kollegen um ein abendfüllendes Ballett zu bitten. De Bana ist als Tänzer von John Neumeier und Maurice Béjart ausgebildet worden und hat, bevor er freier Tänzer und Choreograf geworden ist, lange Zeit in der Compañia Nacional de Danza unter Nacho Duato getanzt. In seiner jüngsten Choreografie verzichtet der deutsche Choreograf mit nigerianischen Wurzeln auf die Spitzenschuhe und lässt die Tänzerinnen (wie auch die Tänzer) scheinbar barfuß tanzen. Sein Bewegungsvokabular bezieht sich vor allem auf die Gliedmaßen, Arme und Beine werden immer wieder gehoben und gestreckt, besonders in den Pas de deux eine anstrengende Arbeit für die Ballerina. Wie reichhaltig de Banas Vokabular ist, zeigt sich besonders in den Pas de deux von Schatten und Schicksal, in denen sich die weiche Willenlosigkeit des weißen Schattens mit der harten, abgehackten Entschlossenheit des schwarzen Schicksals paart. Besonders innig gelungen ist auch der Pas de deux Marie Antoinette mit ihrem Mann (als Vision) im Gefängnis zu Arien von Vivaldi (Esina /Lazik).
Fehlt noch das Lob für die Bühnenbildner. Mithilfe von Swarovski (die Glasfirma bringt mit ihren „Elements“ auch die Kostüme zum Leuchten) haben die beiden Mitglieder von Area Espacios Efimeros, ein ebenso praktikables wie prächtiges höfisches Interieur auf die Volksopernbühne gestellt. Marcelo Pacheco und Alberto Esteban haben einfach einen riesigen verspiegelten Glaskubus gebaut, der durch breite Lichtbänder aus Glas zum Ballsaal wird, durch schmale Leuchtstäbe zum Gefängnis und im blauen Dämmerlicht, gänzlich leer, zum intimen Raum. Je nach Lichteinfall (James Angot) sieht der Schauplatz entweder wie ein prächtiger Spiegelsaal oder wie ein leeres, kaltes Glashaus aus. Der Umbau passiert in Sekundenschnelle.
Mit „Marie Antoinette“ ist Patrick de Bana ein publikumswirksames Ballett in ganz eigener Tanzsprache gelungen, das nicht nur den Qualitätssprung des Wiener Staatsballetts sichtbar macht sondern auch durch Musik, Kostüme und Bühnenbild dem puren Vergnügen dient. Auch wenn am Ende die Köpfe rollen. Doch da ist der Vorhang bereits gefallen und der Applaus aufgebrandet.
Patrick de Bana: "Marie Antoinette", Uraufführung, 20. November 2010, Volksoper
Nächste Vorstellungen: 23.11., 3., 7., 10.12.