Als gegen Ende des 18. Jahrhunderts die Maler ihr Atelier verließen, um „en plein air“ zu malen, wandten sie ihre Augen auch gegen den Himmel. Die Wolken, bis dahin vor allem eine Metapher für das Überirdische, Thron der Götter oder gar, wie im Alten Testament, Gott selbst, bekamen eine neue Rolle. Nicht nur die Naturwissenschaft auch die Kunst säkularisierte die Ansammlung von Wassertröpfchen — die Wolken wurden neu erfunden. Eine Ausstellung im Leopold Museum zeigt Wolkenbilder aus zwei Jahrhunderten, von Caspar David Friedrich und William Turner bis Andy Warhol und Anselm Kiefer.
Anstrengen muss man sich nicht bei der Wanderung von Wolke zu Wolke durch die in zwölf Kapitel gegliederte Ausstellung. Viele Jahrhunderte galten Wolken als unfassbar, erst um 1800 erhielten die Formationen wissenschaftliche Namen. Alle Welt interessierte sich auf einmal für die labilen Gebilde in luftiger Höhe und In der Malerei rückten Cirrus und Cumulus, Stratus und Nimbus von ihrem Platz als dekorative Nebenerscheinungen zu Hauptakteuren auf. Klar, man kennt die fantastischen Wolkengebirge aus Turners Bildern, oder die entzückenden weißen Wölkchen auf babyblauem Himmel von René Magritte, doch dienen auch in der Kunst Wolken nicht nur als Stoff für romantische Träume. Wolken bringen Gewitter, können aus Asche und Rauch bestehen, werden mit Qualm und Gestank industriell produziert und steigen nach einer Kernexplosion als Atompilz gen Himmel. Auch mit der bedrohlichen, ja tödlichen Seite der Wolken setzt sich die Kunst auseinander.
Nahezu zeitgleich mit der "Entdeckung der Wolken" wurde auch die Fotografie von bildenden Künstlern erobert und so widmen die Kuratoren Tobias G. Natter (zugleich Direktor des Leopold Museums) und Franz Smola auch der Wolkenfotografie ein eigenes Kapitel. Dass Wolken, die nicht greifbar sind, keinen Lärm machen, auftauchen und sich wieder auflösen, ehe man es sich versieht, auch in der Literatur eine Rolle spielen, beweist Bernhard Greiner im Katalog.
Andy Warhol hat eine richtige Wolkenperformance installiert. "Silver Clouds" schweben lautlos um die Besucherinnen des Ausstellungsraumes, steigen auf, fallen herunter, dürfen angestaubt werden und müssen mitunter vom Himmel (dem Museumsplafond) geholt werden. Das Original – mit Helium gefüllte Polster aus metallisierter Kunststofffolie – ist 1966 entstanden und für das Andy Warhol Museum 1994 neu angefertigt wurden. Der Choreograf William Forsythe versucht seit 2002 mit der Installation "Scattered Crowd" (weiße Luftballone werden in einem Raum losgelassen) eine ähnliche Wirkung zu erreichen. Trotz Klangteppich kann die "diffuse Menge" die verzaubernde Wirkung von Warhols "Silberwolken" nicht erreichen.Das Publikum im Wiener Parlament ("Scattered Crowd" wurde während ImPulsTanz 2008 in gezeigt präsentiert) blieb ziemlich ungerührt, wagte auch die etwas schlappen Ballons nicht zu berühren. Warhols Installation, wie viele der gezeigten Bilder aus der "Welt des Flüchtigen" jedoch, lenken den Blick nach oben, in den Himmel, ob grau und verhangen, mit Schäfchen übersät oder gar wolkenlos – es gibt etwas zu sehen. Im Museum drinnen und erst recht im Freien draußen.
Zwanglos sind die "Kapitel" miteinander vermischt, sodass etwa das Kapitel "Klangwolke" (Schallplattencover mit Wolkenbildern – unglaublich, wie viele davon zu finden sind) in nahezu jedem Raum zu entdecken ist und auch wolkige Fotografien tauchen immer wieder auf, sodass der Spaziergang in den Wolken neben Vergnügen auch immer wieder Überraschungen bereitet.
"Wolken. Welt des Flüchtigen", Leopold Museum, bis 1. 7. täglich außer Dienstag 10–18 Uhr, Donnerstag bis 21 Uhr. Juni, Juli, August: täglich geöffnet.
Katalog: "Wolken. Welt des Flüchtigen". Hrsg. V. Tobias G. Natter und Franz Smola. Hatje Cantz, 2013, 368 S., 323 Abb. Museumsausgabe 29,90 €. Verlagsausgabe, Hardcover 39,90 €.